Alfelder Kirwa

Auszug aus der Dissertation "Musikantenhandwerk" von Dr. Heidi Christ

Die Alfelder Kirwa gilt weit über die Region hinaus als Traditions-Kirchweih mit besonders lebendigen Bräuchen. Am Beispiel der Alfelder Kirwa wird deutlich, wie eng Traditionen und Folklorismus, Heimatpflege und Brauchhandlung miteinander verbunden sind. Die Rolle der Musikanten ist dabei von alters her dieselbe: sie spielen zum Kirwatanz auf, sorgen für Unterhaltung und begleiten die Kirchweihpaare bei ihren rituellen Handlungen. Die einzelnen Brauchelemente und Programmpunkte sind eng mit den musikalischen Äußerungen verbunden und müssen daher als Ganzes betrachtet werden.

 

Angeblich seit 1806 wird die Alfelder Kirwa in der bis heute praktizierten Form gefeiert, unterbrochen lediglich durch die Kriegsjahre 1914-1918 und 1939-1945. Nach allgemeiner Meinung geht der signifikante Brauch auf die mit der Eingliederung in das Königreich Bayern 1806 verbundenen Wiedervereinigung des seit Ende der Landshuter Erbfolgekriege 1505 geteilten Dorfes zurück. Belege für diese Annahme sind bisher nicht vorhanden. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass in den Gemeinde-Protokollen seit 1849 (ältestes Protokollbuch) keine Kommentare zur Kirchweih aufzufinden sind. Es scheint, als seien Organisation und Durchführung der Feier fest in Händen der Bevölkerung gewesen. Dabei waren zum Beispiel Verwaltungsakte zur Genehmigung von Kirchweihtänzen fällig, musste die Unterbrechung der Stromversorgung beim Seilspannen und die Absperrung der Ortsdurchfahrtsstraße beim Kirchweihzug organisiert werden, nicht zu sprechen von Polizeieinsätzen und Pressearbeit. Keiner dieser Punkte fand Niederschlag in den Gemeinde-Akten.

 

Die Alfelder Kirche, die 1707 ihr jetziges Aussehen erhielt, wurde 1058 oder 1071 von Bischof Gundekar II. von Eichstätt dem Heiligen Bartholomäus geweiht. Der ersten Steinkirche ging eine vermutlich um das Jahr 900 erbaute Holzkirche voraus. Mit der Ersten Brandenburgischen Kirchenvisitation von 1528 erfolgte in Alfeld, wie im gesamten Nürnberger Herrschaftsgebiet die Reformation. Seither ist die Alfelder Bevölkerung bis auf den heutigen Tag überwiegend evangelischen Glaubens. 1805 wurde per Erlass des Rates zu Nürnberg die Kirchweih vom Bartholomäustag, dem 24. August, auf den darauffolgenden Sonntag verlegt. Nach allgemeinem Einvernehmen richtet sich der Kirchweihtermin heute nach dem letzten Montag im August, so dass der Kirchweihsonntag frühestens auf den 24. August, spätestens auf den 30. August fällt. 

 

Der derzeit früheste Nachweis über den Ablauf der Kirwa in Alfeld datiert aus dem Jahr 1901 und wurde in der Zeitschrift »Die Gartenlaube« abgedruckt. Um im Folgenden Änderungen und Kontinuitäten verfolgen zu können, zitiere ich diesen Beitrag, der die Überschrift Der »Maibaum«-Tanz auf der Alfelder Kirchweih trägt, in voller Länge:

 

Wie im übrigen Bayern, so werden auch in der Oberpfalz alljährlich die Kirchweihfeste abgehalten. Auch das von dem Städtchen Hersbruck aus mit Postomnibus bequem in zwei Stunden erreichbare Pfarrdorf Alfeld an der Ostgrenze von Mittelfranken hat seine Kirchweih, die am Sonntag nach St. Bartholomäi (24. August) stattfindet. Mit ihr ist ein merkwürdiger Brauch verbunden. Steht nämlich der Festtag vor der Thür, so wird vor einem jeweils in Betracht kommenden Wirtshause eine durch grüne und rote Schleifen reichgezierte Fichte als »Maibaum« aufgepflanzt. Darauf verknüpft man die Felskuppen zweier nur einige hundert Fuß voneinander entfernter Berge – „Kegel“- und „Schneiderberg“ – durch ein Seil. An diesem wird nun ein mit Rauschgold geschmückter, korbartig geformter Fichtenbusch, an welchem unter anderem eine ebenso verzierte Schweinsblase baumelt, so aufgezogen, daß er senkrecht über der Spitze des Maibaums zu hängen kommt. Der Ursprung dieses Brauchs leitet sich von jener Zeit her, wo die Hälfte des Dorfes (Kegelberg) zum Pfalzgrafentum Sulzbach, die andere (Schneiderberg) bis zum Preßburger Frieden am 26. Dezember 1805 zu Nürnberg gehörte, um anzudeuten, daß beide Gebiete an diesem Tage durch die Schnur und den Busch miteinander einträchtig verbunden wären. Am Kirchweihmontage wird der Maibaum „ausgetanzt“. Den Preis bildet ein neuer Hut für einen der tanzenden Burschen und ein neues Kopftuch für dessen Partnerin. Der Rundtanz um den Maibaum wird von 20 bis 30 unbescholtenen Paaren ausgeführt. Vor Beginn heftet man etwa 3 bis 4 m hoch einen zur Form einer Cigarre zusammengerollten Brennschwamm an einen Bindfaden an den Maibaum. An der Seite, wo der Schwamm herunterhängt, wird vom Maibaum aus ein kleiner Grenzgraben gezogen. Nachdem sämtliche Paare unter Vorantritt der Musik einmal rund um den Maibaum tänzelnd gegangen sind, tritt die Kapelle spielend auf die Seite; gleichzeitig wird der Schwamm angezündet. Das Mädchen des ersten am Grenzgraben stehenden Paares hat einen Blumenstrauß, der bei jeder Runde am Graben immer wieder an das nächste Paar abgegeben wird. So beginnt nun unter Musikklängen von Osten nach Süden, Westen gegen Norden der Rundtanz. Dabei werden allerhand spaßhafte Rundreime von den Tanzenden gesungen.

Dasjenige Paar nun, welches gerade am Grenzgraben, ohne denselben überschritten zu haben, anlangt, wenn der Bindfaden abbrennt und der Schwamm herunterfällt, erhält Hut und Kopftuch. Ist das Geschenk ausgeteilt, so geht die ganze Gesellschaft mit voranschreitender Musik zu dem Wirtshaus, vor welchem der Maibaum prangt. Sein Standort wechselt nämlich von Jahr zu Jahr nur zwischen drei von den sechs vorhandenen Gasthäusern, die hierauf ein gewisses Realrecht haben. Darauf bezieht sich auch ein „G’stanzl“, welches entweder schon beim Rundtanz oder beim Einzug in die Schenkstube gesungen wird und so lautet:

„Der Herr is mei’ getreier Hirt,

Der föhret mi’ zu’n »Neierwirt«,

Von »Neierwirt« zu’n »Ochserwirt«,

Von »Ochserwirt« zu’n »Wallerwirt«.“

Wenn irgend eines dieser „Stückeln“ gesungen ist, giebt der Hutbursch einen „Stützen“, das ist ein hölzernes oder blechernes Gefäß in der Art einer Gießkanne, Bier, läßt die Kapelle spielen und trinkt, oder er versucht gar, den ganzen „Stützen“ zu leeren. In der Wirtschaft hat jetzt niemand anderes Zutritt, als wer am Maitanz teilnahm. Zunächst wird eine kurze Tour getanzt; dann wird der „Busch“, der dem Gewinner des Hutes gehört, herabgelassen und hier zum Fenster hineingezogen. Währenddem suchen die Kinder denselben zu erhaschen, um die Goldflammen abzureißen und als Siegestrophäe nach Hause zu bringen. Wer den Hut erhielt, muß die Kosten für die Musik, sowie die ganze Zeche für sämtliche Paare zahlen. Nach der kleinen Tanztour ist es üblich, daß jeder Bursche seiner Partnerin ein Dutzend Lebkuchen, Brote, Bratwürste etc., die schon bereit liegen, kauft. Hinwiederum hat auch dasjenige Mädchen, welches das Kopftuch erhielt, besondere Auslagen. Sie kauft ihrem Hutburschen, welcher verpflichtet ist, sie zur vierzehn Tage später stattfindenden Kirchweih im benachbarten Pfarrdorf Trautmannshof mitzunehmen, nachträglich Taschentücher, Kragen, Hosenträger und dergleichen zum Geschenk. (Gartenlaube 1901: 700)

Der beigegebene Holzstich von L. Raum zeigt wesentliche Elemente des beschriebenen Brauches. Die Bartholomäuskirche ist deutlich zu erkennen und das Gebäudeensemble links oben gibt in verblüffender Ähnlichkeit die heutige Situation des Dorfplatzes wieder, an dem der Kirchweihbaum ausgetanzt wird. Wer den Höhepunkt der Alfelder Kirwa in den letzten Jahren einmal erlebt hat, erkennt sofort wieder, wie die Paare um den Baum tanzen, heftig bedrängt von dicht beieinander stehenden Zuschauermassen. Wer die alten Fotografien der Alfelder Musikanten kennt, glaubt beinahe, die fünf vorn rechts stehenden Bläser mit Namen benennen zu können. 

 

 

Auf den ersten Blick fühlt man sich versucht, zu glauben, dass mit dem Stich die Realität von 1901 abgebildet wurde. Dabei darf man jedoch nicht aus dem Blick verlieren, dass es sich auch hier um ein Genrebild handelt, das »eine ideale Bauernwelt, die gerade aufgrund ihrer Natürlichkeit, verbunden mit einer gewissen Härte und Rauheit als gesund und vorbildlich empfunden wurde« zeigt. Birgit Wildmeister, die sich 1998 intensiv mit der Bilderwelt der »Gartenlaube« beschäftigte (Wildmeister 1998: 70), führt zu den Darstellungen ländlichen Lebens weiter aus: 

 

»Die „Gartenlaube“ vermittelte ... das Bild des ewig feiernden, geselligen Landbewohners. ... In den späteren Jahrgängen ... beschränkt sich die Darstellung des dörflichen, geselligen Lebens fast nur noch auf scherzende und musizierende Landleute. Diese folkloristischen Bauernbilder sind Reproduktionen eigenständiger Genrebilder, welchen höchstens noch eine fantasievoll erzählte Fabel in den „Blättern und Blüten“, z.T. kombiniert mit einer Kurzinformation über den Künstler zur Erheiterung des Lesers, beigefügt ist. Es handelt sich hier um Bilder, die für ein kaufwilliges, zahlungskräftiges Publikum „komponiert“ wurden. Das Bauerngenre war im Kunstmarkt des 19. Jahrhunderts nicht wegzudenken. Es war die Sehnsucht nach einer gesunden, heilen Welt mit gewachsenen, intakten Traditionen und die Idealisierung einer Vergangenheit, die fern allem war, was im Zusammenhang mit Modernisierung, Industrialisierung, Kapitalismus und allen damit verbundenen Umwälzungen stattfand, welche die Städter und Bürger solchen Wohlgefallen an diesen Bildern finden ließ. ... Der Landbewohner wurde auf eine Weise gezeigt, die die Härte seiner Alltagsexistenz vernachlässigt. Sein Leben fand innerhalb einer funktionierenden, fröhlich-urwüchsigen Gemeinschaft in einer bäuerlich dekorierten Kulisse statt, in welcher auch die Beziehung der Geschlechter deutlich unverkrampfter zu sein scheint, als im bürgerlichen Umfeld.« (ebda., 70-74)

1962 erschien der Gartenlaube-Beitrag in leicht abgeänderter Form, aber ohne Quellenangabe in der Hersbrucker Zeitung. Das Kürzel »br« für den Reporter legt die Vermutung nahe, dass es sich bei dem Berichterstatter um Leonhard Bruckner, den langjährigen Alfelder Bürgermeister und Korrespondenten der Zeitung, handelt. Der letzte Absatz weist auf die Modifikationen des Brauches hin: Es gibt keinen Glimmschwamm mehr, dafür fällt heute ein Schuß (HZ, [August 1962], Bruckner, Heimat 1). Auch im Alfelder Heimatbuch von 2006 wurde der Gartenlaube-Beitrag auszugsweise zitiert, verbunden mit Hinweisen zu Abänderungen und Neuerung im Brauchgeschehen (vgl. Geng 2006: 217-220). Darüber hinaus sind Gartenlaube-Artikel und -Stich bei Elyane Werner in der Sammel-Publikation »Fränkisches Leben – fränkischer Brauch. Bilder und Berichte aus dem 19. Jahrhundert« aus dem Jahr 1992 wiedergegeben (Werner 1992: 68-70).

Möglicherweise ist die Entstehung des Alfelder Kirchweihbrauches in einer Umdeutung des Huttanzes zu sehen. Der Huttanz ist, wie der Hammeltanz, eine Form des Preistanzes, bei dem »der Gewinn demjenigen Paare zufiel, das bei einem bestimmten Zeichen sich an einer bestimmten Stelle befand oder einen zu diesem Zwecke von Paar zu Paar wandernden Buschen in der Hand hielt« (Kramer 1961: 120). Den ältesten Beleg für einen Huttanz in der Residenzstadt Ansbach fand Karl-Sigismund Kramer für das Jahr 1716. In dem die Oberpfalz betreffenden Band der »Bavaria« ist der Huttanz quasi als Höhepunkt der Kirchweihvergnügungen beschrieben: 

 

»Steigert sich die gemeinsame Lustbarkeit auf dem Tanzboden, so wird wohl auch zuweilen der Tanz ausgetragen. Die Paare begeben sich unter Vortritt der Musik auf einen freien Wiesplan außerhalb des Dorfes oder zunächst dem Wirtshause. Hier wird auf einer quer über den Platz gezogenen Schnur ein neuer Hut mittelst eines Stückchen Zündschwammes aufgehängt. Nun tanzen die Paare einzeln und der Reihe nach um den Plan, während der Schwamm angezündet wird. Sobald dieser abgebrannt ist und der Hut niederfällt, erhält ihn unter allgemeinem Jubel der Bursche, der eben den Reigen hatte. Für die Dirnen wird häufig ein Halstuch in gleicher Weise ausgetanzt.« (Bavaria Opf. 1863: 314-317)

 

Auch Johann Andreas Schmeller gab in seinem Bayerischen Wörterbuch von 1827 eine Erläuterung zum Huttanz, der nichts mit dem ähnlich lautenden Hütetanz zu tun habe: 

 

»Der Huettanz, Tanz, bei welchem die Paare unter einem ausgespannten Seile, auf welchem ein neuer mit Bändern gezierter Hut hängt, im Kreise herumtanzen; während des Tanzes wird in einiger Entfernung ein Schuß gethan, und derjenige Tänzer, welcher sich in diesem Augenblick unter dem Seile befindet, erhält den Hut als Geschenk.« (zit. nach Schmeller 1983: 1190) 

 

In seiner Monographie »Wies damals war. Land und Leute zwischen Pegnitz und Schwarzach« berichtete Friedrich Kohl von einen Preistanz anlässlich der Kirchweih, bei dem es einen Hut zu gewinnen gab. »Früher wanderte während des Austanzens ein neuer Hut, an dem eine neue Schürze (Fleek) hing, von einem Kopf zum andern.« Den Hut bekam der Sieger, die Schürze seine Partnerin (Kohl 1993: 89f).

 

Es ist also durchaus vorstellbar, dass an der Alfelder Kirwa früher ein Hut als Preis unter den Kirchweihpaaren ausgelobt wurde. Der unter dem Namen »Alfelder Huttanz« vermutlich am 30. Oktober 1908 von der Kapelle Dorn eingespielte Ländler (Tip Top, Nr. 712, Matrize 1548/18224, FFV S 1022/A; auch Dacapo-Record D. 18224, FFV S 3240/B) könnte in diese Richtung deuten. Damit will ich nicht sagen, dass gerade dieser Landler zum »Baumaustanzen« gespielt wurde. Vermutlich brauchte man wieder einmal einen Titel für einen ansonsten namenlosen Landler für das Etikett der Schellackplatte. Der Gewinner des »Baumaustanzens« heißt bis auf den heutigen Tag »Houterer«. Wahrscheinlich geriet die Bedeutung des Tanzes früher oder später in Vergessenheit, eventuell verschwand sogar der Tanz selbst. Irgendwann müsste es dann eine Verbindung zwischen dem Tanz, dem Hut, dem Seil und der Tatsache der Wiedervereinigung der Ortschaft gegeben haben, aus welcher der heutige Brauch entstand. Ob diese Verknüpfung bereits 1806 oder zu einem späteren Zeitpunkt passierte, muss derzeit noch dahingestellt bleiben, da in dieser Argumentationskette zu viele Glieder fehlen.

 

Im 21. Jahrhundert besteht die Alfelder Kirwa aus folgenden wesentlichen Programmpunkten: Ab Montag vor dem Kirwa-Wochenende treffen sich die Kirwaburschen jeden Abend zum Kirwaliedersingen, jedes Mal in einem anderen Gasthaus. Am Donnerstag wird in zwei Gasthäusern die berühmte »Vogelsuppe« bei traditioneller Musik serviert. Am Samstagnachmittag erfolgt das Baumaufstellen, am Abend gibt es an verschiedenen Orten Unterhaltungsmusik mit traditionellen und modernen Gruppen. Erstmals hat auch die Lindenschänke geöffnet, eine extra anläßlich der Kirwa zu Disco und Bar umfunktionierte Scheune, in der sich die Kirwapaare und Jugendliche treffen. Den Festgottesdienst in der Sankt Bartholomäuskirche besuchen am Sonntag möglichst viele Gemeindemitglieder. Am Nachmittag gibt es erneut unterschiedliche Unterhaltungsmusik sowie ein Kirwa-Fußballspiel. Die »Lindenschänke« zieht auch an diesem Abend das junge Publikum mit Live-Musik an. Am Montag trifft man sich beim Frühschoppen in den Gastwirtschaften »Scharfes Eck« oder »Berghof« bei traditioneller Musik. Vom »Berghof«, dem Stützpunkt der Kirwapaare, zieht die Gesellschaft am Nachmittag mit Musik ins Dorf. Dieser Zug, an dem auch ein »Eilwagen« teilnimmt, wird bereits von zahlreichem Publikum beobachtet. Am Dorfplatz löst sich die Gruppe auf, die Kirwapaare ziehen sich zu Hause um, wo es noch Kaffee und Kuchen gibt, während sich auf dem Dorfplatz die Zuschauer um den Moiabaam scharen und gespannt warten. Im Gasthaus »Deutscher Hof« treffen die Kirwapaare nacheinander ein. Sind alle da, geht es mit den Alfelder Musikanten Richtung Tanzplatz. Dort wird der Baum ausgetanzt. Am Abend trifft sich die Jugend zum letzten Mal in der Lindenschänke, in der erneut Live-Musik dargeboten wird. Im Folgenden beschäftige ich mich im Wesentlichen mit jenen musikalischen Ereignissen, die die Alfelder Musikanten bestritten und weiterhin bestreiten.

 

Nach einem Bericht von 1927 trafen die Kirwaboum am Sonntag vor dem Kirwawochenende bei dem Wirt, der dieses Jahr die Kirchweih hat ... zu einer Vorbesprechung zusammen. Dabei werden mit frohem Mut schon Kirwalieder angestimmt (Fischer 1927: 71). Dieses wohl alljährliche Üben hat sich offenbar gelohnt. Unumwunden bekannte der Fürnrieder Klarinettist Michael Kellermann, die Jahre etwa zwischen 1960 und 1985 betreffend: Und die, das muss man immer sagen, die singen auch im Wirtshaus noch. Hochburg! Die haben die besten Stimmen gehabt. Da waren wir ein bisschen neidisch (Interview vom 30.06.2000). Der gebürtige Alfelder und Traditionswahrer Christoph Maul erzählte 1995, dass die Kirwaboum schon vier bis sechs Wochen vor der Kirwa regelmäßig, mindestens vier Mal die Woche, zum Singen der ganzen alten Lieder zusammenkämen (Interview vom 28.08.1995). Nach Aussage der derzeitigen Alfelder Musikanten ist es gegenwärtig üblich, dass sich die aktuellen und ehemaligen Kirwaburschen in der Woche vor der Kirchweih allabendlich in einem anderen Wirtshaus zum Kirwaliedersingen treffen. 

 

Alle Alfelder Kirwalieder hat Marc Sebald 2006 in Text- und Melodieform herausgegeben. »Ich habe bereits in meiner aktiven Zeit als „Kirwabou“ damit begonnen, Texte älterer Lieder zu sammeln und neu niederzuschreiben. Anlässlich der 200jährigen Wiedervereinigung konnte ich nun meinen Traum verwirklichen und das umfangreiche traditionelle Alfelder Liedgut in Noten fassen« (Sebald 2006: 5). Da ich um Hintergrundinformationen zu den einzelnen Stücken gebeten wurde, konnte ich in diesem Zusammenhang bereits feststellen, dass sich die Alfelder Kirchweihlieder stark von dem in anderen Orten der Hersbrucker Alb verbreiteten Repertoire unterscheiden. Es finden sich neben Tanzliedern, alpenländischen Liedern, sentimentalen, Scherz- und Erzählliedern Werke aus der Feder von Leonhard Bruckner und zu festen Liedern »erstarrte« Vierzeiler. Die vor allem für Mittelfranken typischen Vierzeiler, die als variantenreiche Gebrauchsdichtung zu vielen Kirchweihen gehören und die im Wechsel von kräftigem Gesang und gutem Nachspiel der Musikanten erklingen, gibt es in Alfeld nicht. Die Gründe hierfür liegen im Dunkel. Als Erklärung für die Verwendung der alpenländischen Lieder und Melodien wurde und wird von allen Seiten angeführt, dass saisonal als Hopfenzupfer in der Region arbeitende Altbayern diese Lieder mitgebracht hätten. Belege hierzu sind nicht vorhanden. Vielmehr spricht die Aufzählung von längst vergessenen Lieder[n], welche die langen Hopfenzupferabende kürzen halfen von M. Schwemmer aus dem Jahr 1932 gegen diese Darstellung. Kein einziger der von ihm aufgeführten dreißig Liedanfäng gehört zu einem Alfelder Kirwalied (vgl. Schwemmer 1932: 71f). Die Erzählung über »Hopfenbloden in alter Zeit« von Leonhard Bauer aus dem Jahr 1968 erwähnt, dass die Hopfenbauern so viele Hopfenpflücker benötigten, 

 

daß der Bedarf aus einheimischen Arbeitskräften nicht gedeckt werden konnte. So kamen viele Männer und Frauen aus dem Böhmerwald herüber zum Bloden bei unseren Bauern. Sie brachten manches schwermütige „Waldlerlied“ und manche flotte „Böhmische Polka“ mit ins Hersbrucker Land, die heute noch zu hören und zum Teil Bestandteil der heimischen Folklore geworden sind. (Bauer 1968/3: 15) 

 

Auch die von Leonhard Bauer zitierten Liedtexte stimmen nicht mit Alfelder Kirwaliedern überein. Weitere Zusammenstellungen von Kirchweihliedern und »Leibstückln« Leonhard Bauers beinhalten viele weit verbreitete Vierzeiler und Wirtshauslieder, jedoch kein einziges Alfelder Kirwalied (vgl. Bauer 1975c, 15f; Bauer 1976a, 12; Bauer 1976b, 24; Bauer 1979: 11; Bauer 1981: 20; Bauer 1989: 20). Einen vagen Hinweis auf die Herkunft der Lieder enthält ein Beitrag der Heimatbeilage der Hersbrucker Zeitung vom Juli 1931. 

 

Just in unseren Tagen vollzieht ... sich, dem feineren Ohr wohl fühlbar, ein bedeutsamer Wandel. Auf dem Wege über Zithernoten, Schallplatten, die Lippen städtischer Wandervögel, den Rundfunk nicht zu vergessen, haben Jägergesänge, Trotzlieder aus Wilderermund, Bergsteigjodler und mit ihnen „Gsangla“ in die fränkischen Lande sich geschlichen, von denen wir mit Bestimmtheit sagen können, sie sind nach Inhalt und Sprache nicht heimischer Natur. Viele von ihnen tragen unverkennbar den Stempel altbayerischer Herkunft auf der Stirne. Mit ihnen ist auch die Benennung »Schnadahüpfel« auch für unsere Stückla in Aufnahme gekommen. Wir lehnen sie als allgemeingültig ab und halten für unsere auf fränkischem Boden gewachsenen, meist vierzeiligen Burschengesänge insbesondere unserer Hersbrucker Heimat mit dem freien Rechte des Franken fest an der nicht eben farbenreichen, aber altüberkommenen Bezeichnung »Stückla«. (L.Z. 1931a, 57) 

 

Im zweiten Teil der Heimische[n] »Stückla« ist ein Aufruf enthalten, Leibstückla an die Schriftleitung einzusenden. (L.Z. 1931b, 63) Dieser Aufforderung kam ein Leser aus Alfeld nach und teilte Stückla mit, welche fast ausschließlich in Alfeld gesungen wurden:

 

Solz in der Butt’n, Lam in der Groum,

lusti san die Aalfelder Boum;

san’s auf’m Berg oder im Toal,

hörn tout ma’s überoal.

Öitz geng ma umer Moiabaum,

öitz geng ma uman Plotz,

dou kuma die oalten Weiber z’am,

dou woiß a nöide (jede) wos.

 

Und daß des Haus niat afoalln (einfallen) ka,

dou is schou wos dafür,

denn vorn dou stöiht (steht) die Hypothek

und hint da G’richtsvollzieh’r.

 

Groußer, wennst du nirt folgst,

und göihst (gehst) nirt hoim nirt hoim,

kröigt (=bekommt) dai Kloi `s Heiratsgout

oalles alloi.

 

Wenn i zu dir afs Fenstern göih,

und laßt mi du nirt ein,

na glaub i a Händ vull Stoiler (Steinchen) z’samm

und wirf dei Fensterl ei,

 

Zu dir bin i ganga,

zu dir houts mi g’freit,

zu dir göih i nimma,

da Weg is ma z’weit.

 

Hob i oft a Beet g’ackert,

hob i oft a Beet g’sat (gesät),

hob i oft a schöis Moil (Mädchen)

am Tanzbun (Tanzboden) rumdraht. (F.B. 1931: 72)

 

Die ersten beiden Vierzeiler gehören noch heute als erste Strophen zum Repertoire Alfelder Kirwalieder, aus dem Solz (Salz) ist zwischenzeitlich das Schmolz (Schmalz) geworden. Der dritte Vierzeiler findet sich als dritte Strophe zum Lied »Hob i’ mei’ Letter koi’ gout niat dou«. Alle anderen Texte sind in Alfeld verlorengegangen. Dafür wurden aber auch neu gemachte Lieder aufgenommen, wie zum Beispiel der Bairische »Weil i’ glei’ niat vo’ Firabo’ bin«. Als Tanzmelodie mit einstrophigem Text wurde der Titel bereits 1907 von der Happurger Bauernkapelle auf Schellackplatte eingespielt. Leonhard Bruckner erweiterte vermutlich in den frühen 1960er Jahren den Text um drei Strophen zu einem Lied für seine Alfelder Moidla, und durch Rundfunkaufnahmen wurde das Lied in der Volksmusikpflege verbreitet.

 

Eine weitverbreitete Walzermelodie vermeiden die Alfelder bis heute. Zumindest den bekanntesten hierzu gehörigen Vierzeiler mit dem Text: »Die Kerwa is kumma, die Kerwa is dou, truje, truje, truje und trujo, die Altn, die brumma, die Junga sen froh, truje, truje, trujo« kennt man auf allen fränkischen Kirchweihen. In den 1950er Jahren führte die Verwendung der Melodie durch den Happurger Musikanten Günter Schmidt zu einer Rauferei zwischen Musikanten und Kirwaboum. 

 

Und ich dummer Kerl hab am Sonntag nicht dran gedacht, hab in Happurg 8 Tage vorher 100 mal »Es Kirwal is kumma, es Kirwal is dou« gespielt. Das singen ja die nicht, weil »trujä« drin ist – und fang in irgendeiner Landlerfolge »Es Kirwal is kumma, es Kirwal is dou« an. Und dann könnt ihr euch vorstellen: wir haben abbrechen müssen, weil rechts und links die Maßkrüge geflogen kommen sind. Dann sind 20 Mann aufgestanden, wollten uns von der Bühne runter ziehen, [nach] eine[r] Stunde ... haben wir dann gesagt, ... entweder die Alfelder Kirwaboum müssen raus, oder wir spielen nicht mehr weiter. Dann ist der Wirt zum Schlichten gekommen, und dann haben wir notgedrungen die Kirwa – es war Sonntag, über die Bühne gebracht und dann sind die am Montag früh zum Wirt und haben gesagt: heute Abend muss eine andere Kapelle spielen, weil sie kommen den Abend nicht. Da hat der gesagt: der Schmidt, der hat schon immer meine Kirwa gespielt und der spielt sie auch heute Abend. ... Beim »Hasen« und beim »Wallerwirt« waren früher die Alfelder Musik und das haben die aufgehört gehabt, ... und dann haben sie notgedrungen abends wieder zu uns kommen müssen. Und dann haben wir einen Kompromiss geschlossen. ... ich habe gesagt: ich entschuldige mich, ich habe das nicht vorsätzlich gemacht. Ich habe es auch wirklich nicht. Und dann hat man das gewusst, dass das da draußen so ist. Und wenn irgendwo Leute geärgert werden, dann weiss man auch, wie man sie ärgern muss. Und dann sind die Breitenbrunner Kirwaboum am Montag abend [gekommen], einer war unten, hat das Auto laufen lassen, ... und zwei sind oben, da geht es so naasch [närrisch] die Treppe ’nauf und waren so an der Tür und haben bloß reingeschrieen »trujä, trujä, trujä und trujum« und sind mit Sauseschritt über die Treppe hinunter, da sind die – aber das könnt ihr euch vorstellen, die wenn die erwischt hätten, ich glaube, die hätten die erschlagen. Und das sind alles so Dinge, das muss man wissen. Das war jetzt auch so ein Stück, wo mir einmal und nicht wieder passiert. (Interview vom 06.11.2000)

 

Noch heute, könne er sich vorstellen, dass ‘ne Rauferei los gehen würde, wenn »andere« Trujä singen würden, antwortete Bernd Kolb auf meine Frage, ob die Melodie im 21. Jahrhundert noch immer auf dem »Index« stünde. 

 

Zu meiner aktiven Zeit durften »andere« überhaupt nicht singen. Mittlerweile ist man da etwas liberaler, ergänzte er. Warum man das nicht singen bzw. gar nicht singen darf ist mir auch nicht ganz klar. Wahrscheinlich weil die Alfelder sich für was ganz besonderes halten, so eine ausgefallene Kirwa haben, und so schöne und ganz andere Kirwalieder haben als die anderen. Wahrscheinlich will man damit zum Ausdruck bringen dass man

- die Lieder anderer Kirwan überhaupt nicht schätzt

- die Sangeskunst bei anderen Kirwan überhaupt nicht schätzt.

Bei anderen Kirwan ist es wirklich oft so, dass die Burschen NUR das Trujä-Lied singen. In diesem Zusammenhang spricht man auf alfelderisch auch abwertend von »Trujä-Kirwa«. (emails Kolb vom 31.03.2008)

 

Die »Vogelsuppe« markiert in vielen Orten der Hersbrucker Alb den Beginn der Kirchweihfeierlichkeiten. Man versteht darunter ein Eintopfgericht, dessen wesentlicher Bestandteil gekochte (Rinder-) Innereien sind, die mit Essig fein abgeschmeckt werden. Da meist ein Semmel- oder Leberknödel im Zentrum des aufgetragenen Suppentellers liegt, könnte man meinen, der Name leite sich vom optischen Eindruck eines Vogelnestes mit darin liegendem Ei ab. Diskussionen um den Begriff sowie Fragen nach Rezepten findet man zuhauf im Internet. Einen schlüssigen Erklärungsversuch bietet die homepage des Gasthofs Vogel in Pommelsbrunn, die den Namen aus dem Eigennamen des Wirtes herleitet (Anhang 11.32). Nicht erst in jüngster Zeit, sondern schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg war dieser Kirwaauftakt ein Tipp für Touristen. Im Reiseführer durch die Hersbrucker Alb aus dem Jahr 1956 machte August Sieghardt seine Leser auf die Besonderheit aufmerksam: »Kurz vor der „Hirtenstoiner Kirwa“ wird bei den Wirten die „Vogelsuppe“ verspeist, die aus den Innereien der Rinder besteht, ein Brauch, der auch in der Laufer und Hersbrucker Gegend noch geübt wird« (Sieghardt 1956: 131).

 

Traditionell wird die Vogelsuppe nicht zu Hause zubereitet, sondern im Gasthaus verzehrt. Dazu gehört in vielen Ortschaften der Hersbrucker Alb traditionelle Musik. Diese »Tafelmusik« hat ebenfalls Tradition. So gab es zum Beispiel bei Gastwirt Stiegler in Vorra am 18. Juni 1931 Konzert anlässlich der »Vogelsuppe« am Kirchweih-Donnerstag (HZ 17.06.1931). Die Alfelder Musikanten spielen an diesem Termin seit Eröffnung des Gasthauses »Berghof« dort zur Unterhaltung. Die meisten Leute kommen zum Abendessen, nur wenige bestellen etwas anderes als die »Vogelsuppe«. Getanzt wird bei dieser Gelegenheit kaum. Es erklingt ausschließlich traditionelle Musik in Klarinettenbesetzung. Die Zahl der Gäste hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend erhöht, so dass das eigens zur Kirwa im Anschluss an das Wirtshaus aufgestellte Zelt schon am Donnerstag bewirtet werden muss. Seit einigen Jahren spielen die Musikanten nicht nur im Gastraum, sondern auch im Außenbereich des Gasthofes, damit auch die Gäste dort etwas von der Musik haben. Die Musikanten finden es viel anstrengender, im Freien ohne Verstärkeranlage zu spielen und sind mit dieser Lösung nicht glücklich. 

Bei meinen Feldforschungen zur Alfelder Kirwa 1998 und 1999 nahm ich auch die »Vogelsuppen«-Termine wahr. Selbstverständlich probierte ich die kulinarische Spezialität. In den beiden Jahren war der Verlauf der »Vogelsuppe« ähnlich, weshalb sich die folgenden Ausführungen beispielhaft auf das Jahr 1998 beziehen (Interview vom 27.08.1998). Gegen 17:30 Uhr begannen die Alfelder Juniors zu spielen. Der kleine Gastraum war gut gefüllt und die Musik wurde mit Vergnügen konsumiert. Das dezente Aufnahmegerät, das ich mit Erlaubnis der Musikanten und Wirtsleute auf dem Tisch vor mir positionierte, machte es für einige Gäste erst recht interessant, sich zu mir zu setzen und mir einiges aus ihrem Wissensschatz anzuvertrauen. Im Laufe des Abends wechselten meine Tischnachbarn. Dem ersten, einem älteren Herrn musste ich mich zunächst als »Expertin« in Sachen Alfelder Volksmusik beweisen, als ich nach der Bezeichnung für das eben gespielte Stück gefragt wurde. Ihr sagt Bairische. Da wo ich her bin, sagt man Zwiefache entsprach wohl der erwarteten Antwort. Im Gegenzug fragte ich mein Gegenüber, ob dieser spezielle Bairische denn einen Namen habe, worauf er passen musste. Dann aber berichtete er, dass bisher fast ausschließlich auswärtige Gäste da seien, die Alfelder kämen erst später, nicht einmal singen könne man, da die Sängerpersönlichkeiten noch fehlten, die die Lieder anstimmen. Gegen 19.30 Uhr trafen nach und nach die Alfelder Musikanten ein. Eine Frau begrüßte die Senioren voll des Lobs für die Junioren: Schön spielen sie – wie ihr! Das ist wie eine innere Massage ... und es ist so, wenn du da hockst, brauchst du keinen Doktor. Auch die Musikanten lobten ihren Nachwuchs über den grünen Klee. Es sei schon gut, dass sie jetzt nachkämen, schließlich wolle der eine oder andere Senior demnächst aufhören. Von Jahr zu Jahr wird das besser. Wenn man dran denkt, wie die angefangen haben – und jetzt: Donnerwetter! urteilten sie. Man höre sie inzwischen auf vielen Kirwan in der Umgebung und auch zu anderen Veranstaltungen kämen nun regelmäßig Einladungen. Natürlich fehle es noch an Erfahrung, aber die käme schon noch mit der Zeit. Während sich die Alfelder Musikanten zum Spielen fertig machten – und nachher noch einmal in einigen Pausen -, versorgten die Alfelder Juniors das inzwischen mit weiteren Gästen und den Kirwaburschen besetzte Zelt mit Musik. Von dort hörte man nun auch zum ersten Mal an diesem Abend ein »Eigmacht’s« und ein paar Kirwalieder. Die nächsten Gäste, die an meinem Tisch Platz nahmen, berichteten, während der Herfahrt im Auto hätten sie bereits in der Volksmusiksendung des Bayerischen Rundfunks von der Moderatorin Anni Holland Hinweise auf die Alfelder Kirwa erhalten. Dazu wurde Musik aus der Region gespielt mit den Högenbachtaler Musikanten, den Alfelder Musikanten und den Alfelder Moidlan. 

 

Die Alfelder Juniors waren mit ihren Darbietungen an diesem Abend im Großen und Ganzen zufrieden. Selbstkritisch teilten sie mir mit, dass sie mit der Stimmung der Instrumente Schwierigkeiten und die Tempi noch nicht ordentlich im Griff gehabt hätten. Der Cassettenmitschnitt belegt ihre Beobachtung, macht jedoch auch deutlich, dass das Publikum mit der Musik zufrieden war. Bei dieser Spielgelegenheit kam es nicht auf tanzbare Tempi oder tadellosen Klang an. Erwartet und geboten wurde unaufdringliche Unterhaltungsmusik mit einem speziellen Repertoire. Wenn man zur »Vogelsuppe« geht, will man in erster Linie essen, sich mit Bekannten und Verwandten treffen und sich über die unterschiedlichsten Themen unterhalten. Die Musik spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle und wird nur als Klangkulisse wahrgenommen. Wer zu diesem Anlass in den Berghof kommt, weiss in der Regel, dass dort die Alfelder Musikanten aufspielen.

 

Meine erste »Vogelsuppe« endete mit einem ehrenvollen Engagement. Der Trompeter Marco Zeltner bestellte mich kurzerhand zu seinem Kirwamoidl, wenn ich am Montag sowieso zur Feldforschung wieder käme: Na, dann bringst’ Dein Dirndl mit und tanzt mit mir den Baum aus. ... Führen musst Du um den Baum rum, und ich muss Dir noch zeigen, wo ich wohne, weil Du musst mich heim bringen. Das sind die Pflichten von einem Kirwamoidl, führte er scherzend weiter aus. Als Kirwamoidl dürfe frau alles, nur nicht gurzen (juchzen). Ich solle, wenn möglich, schon beim Frühschoppen anwesend sein, alles andere werde sich ergeben. Er versicherte sich noch, dass ich weder verheiratet sei noch ein uneheliches Kind habe. Das wären die einzigen Kriterien, um in Alfeld Kirwamoidl zu sein. Partnerschaften, gar mit Heiratsabsicht, hätten heutzutage die wenigsten Kirwapaare, Orts- und Religionszugehörigkeit spielten keine Rolle mehr. Damit war ich entlassen und fuhr, als gegen 22.00 Uhr die Alfelder Musikanten zu spielen aufhörten, nach Hause. Zur »Vogelsuppe« 1999 ist noch anzumerken, dass an diesem Abend beide Ensembles zum Abschluss des Abends zwei Titel gemeinsam spielten, lediglich das Akkordeon war mit Herbert Dehling einfach besetzt, Matthias Maul spielte nicht mit. Die übrigen Stimmen, sogar die Tuba, wurden doppelt besetzt, ab und zu improvisierten die älteren Musikanten dritte Stimmen in den ansonsten zweistimmigen Klang.

 

Die Sitten änderten sich langsam. Noch etliche Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, wusste Leonhard Bruckner zu berichten, hätte keine Auswärtigen am »Baumaustanzen« teilnehmen dürfen: Ich weiß noch, der Pirner Hans, der hat meine Cousine aus Nürnberg ... um den Baum führen wollen, da haben sie ihn nicht zugelassen. Da hat es das nicht gegeben. Nur Einheimische. Man kann doch einem Buben nicht vorschreiben, du sollst eine herumführen, die du nicht magst (Interview vom 16.04.1994). Wann die ersten nicht in Alfeld wohnenden Mädchen um den Baum getanzt haben, ist derzeit nicht geklärt. 1967 jedenfalls gewann ein »gemischtes« Paar den Buschen: ... er ein waschechter Alfelder, sie eine hübsche Stallbaumerin (HZ 29.08.1967). 1978 traf es Heiner Linhard aus Alfeld und Heidi Pickel aus Hainfeld, 1996 den Alfelder Marc Sebald und seine spätere Frau Andrea Sperber aus Niederricht.

 

Es ist ungeschriebenes Gesetz, daß er die ganze Gesellschaft auf seine Kosten in das Anwesen seiner Freundin einladen „darf“, weil nach alter Väter Sitte der „Houterer“ dem Traualtar am nächsten steht. So ist die Nachkirwa am Dienstag auch immer ein „kleiner Polterabend“ des Kirwapaares. Nicht immer jedoch ist der gewonnene Kirwastrauß auch die Garantie für baldiges Eheglück. Es soll Alfelder Kirwaburschen gegeben haben, die nach dem Erhalt des Hutes noch ein paar „Ehrenrunden“ beim Baumaustanzen gedreht haben, bis sie schließlich aus dem erlauchten Kreis ausgemustert wurden. Verheiratet sind sie bis heute nicht. (HZ 27.08.1996) 

Auf die Frage eines HZ-Journalisten, wie es denn nun mit der Heirat stehe, antwortete Birgit Heißler im August 1989: Erst in ein paar Jahren ... aber bei uns ist der Buschen schon recht! (HZ 30.08.1989) Wie der Zeitungsbericht andeutet, kommt auf den Gewinner, den »Houterer«, mit der Ehre auch eine kräftige Geld-Ausgabe zu. Nicht jeder junge Mann kann sich finanziell leisten, »Houterer« zu werden. Auf das Missverhältnis zwischen dem Gewinn des ausgelobten Preises und den dadurch auf den Gewinner zukommenden Kosten wies 1860 bereits Dr. Valentin Küster im Physikatsbericht für den Königlichen Landgerichts-Bezirk Schwabach hin: Aber der Gewinn [des dort ausgelobten Kirchweih-Betzn] kommt theuer zu stehen. Vor Allem kommt ein Faß Bier auf den Tisch (Eimer) und es wird so lange gezecht und getanzt, bis das Faß leer ist. Die Musik muß der Gewinner auch entschädigen, sowie er auch dem Schäfer ein gutes Trinkgeld zu geben hat. Somit gehen 9-10 fl. auf, also fast soviel, als der Hammel werth ist. (Küster 1860: zit. nach Plank 1988: 42) 

 

Dies ist ein Grund dafür, dass seit einigen Jahren das Kirwapaar in Alfeld nicht mehr durch Zufall ermittelt wird. Der »Houterer« wird von zwei, drei Burschen im Voraus bestimmt. Da weder Brennschwamm noch Wecker, sondern ein Signalschuss dem Tanz ein Ende setzt, kann dem Signalschützen ein Zeichen gegeben werden, wenn das auserwählte Kirwapaar den Blumenstrauß in Händen hält. Auswahlkriterien sind neben der Finanzkraft das absehbare Ausscheiden eines Kirwaburschen aus dem Kreis der Junggesellen durch bekannt gewordene Heiratsabsichten oder das geplante Ausscheiden durch Wegzug aus dem Ort und ähnliche Gründe, wie im Fall von Marco Zeltner. Er wurde 2003 »Houterer«, weil er in Zukunft als Musikant bei der Kirwa spielen und nicht mehr als Kirwabou um den Baum ziehen wollte. Das Zeichen für den Schuss gibt der Oberkirwabursch durch Handheben, wobei es schon vorkam, dass ein anderer zum falschen Zeitpunkt die Hand hob und daraufhin der Schuss fiel. Da habe es dann ein Durcheinander gegeben, berichteten Marco Zeltner und Wolfgang Maul (Interview vom 26.07.2009).

 

Bevor es jedoch ans »Baumaustanzen« geht, muss der Baum eingeholt und aufgestellt werden. Beim Einholen und Aufstellen des Kirchweihbaumes sind die Alfelder noch unter sich. Zunächst wird am Samstagvormittag das mit Erde verfüllte Loch für den Baum ausgegraben. Anschließend holen die Kirwaboum den Baum aus dem Grafenbucher Forst. Eigentlich sind es zwei Bäume, die für den sogenannten »Moiabaam« benötigt werden, denn er besteht aus einem langen Stamm, an dessen oberen Ende zur Verlängerung ein zweiter Fichtenstamm mit Wipfel »angeschifft« wird. Dies hängt damit zusammen, das es außerordentlich schwierig ist, einen hohen Baum so zu fällen, dass der Wipfel keinen Schaden nimmt. Altbürgermeister Leonhard Bruckner erzählte Evi Strehl 1994, dass einer seiner Cousins vor langen Jahren mit dem Steigeisen auf den »Moiabaam« geklettert sei, um einen herabhängenden Ast abzusägen. Seit dieser lebensgefährlichen Aktion werde der Baum »angeschifft«. Die beiden Bäume werden dabei schräg abgesägt und anschließend mit sogenannten »Pfennignägeln« zusammengenagelt. Drei eiserne Reifen umfassen zusätzlich die beiden Baumteile (Interview vom 16.04.1994). 

 

Die Größe des Fichtenbäumchens, das kopfüber in einem goldenen zylinderförmigen Behälter steckt, ist laut Internetseite auf 1,50 Meter festgelegt. Der Kirchweihbaum selbst muss mindestens 30 Meter hoch sein. Das Seil, das den Kegelberg mit dem Schneiderberg verbindet, ist 249 Meter lang (vgl. URL Alfelder Kirwa). Aus welchem Jahr die Maßvorgaben für den Buschen und den Baum stammen, konnte nicht mehr festgestellt werden. 1989 stand in der Zeitschrift »Die Kirchenmaus« folgendes zu lesen: In den Zwanziger Jahren durfte der Baum nicht höher als 22 Meter sein, weil der Goldene Buschn über dem Baumwipfel schwingen mußte. Heute hängt er neben dem Baum, der jetzt mindestens 30 Meter hoch sein muß (Die Kirchenmaus 1989: o.p.). Woher der Berichterstatter diese Information hatte, wird aus der Mitteilung nicht deutlich. 

 

Bis ins Jahr 1950 wurde der Baum erst in der Nacht zum Sonntag aufgestellt, wie auch das Seil in dieser Nacht gespannt wurde. Aus Sicherheitsgründen geschehen beide Programmpunkte inzwischen bei Tageslicht am Samstagabend. In den 1950er Jahren war es passiert, dass der Baum als er bereits seine „Gerade“ hatte, sich neigte und über ein Hausdach sauste und es durchschlug (HZ, 1959, bei Bruckner Heimat 1). 1960 war hierzu in der Hersbrucker Zeitung zu lesen: 

 

Als der Baum sich fast schon in die Höhe gereckt hatte, gab es einen Krach und der Baumwipfel, der zu „frech“ gewachsen war, stürzte zu Boden. Einen Augenblick herrschte Stille, und man erkannte, daß man sich umsonst geplagt hatte; der immerhin dreißig Meter lange Baum musste wieder niedergelassen werden. Schon kam der „Zöiglgirgl“ mit seinen hundert PS und ab ging’s in mitternächtiger Stunde in den Wald. Bei Scheinwerferlicht wurde ein anderer Wipfel ausgesucht. ... Als der Tag graute, stand er, der Moiabam, und reckte sich stolz über die alten Dächer. Aber die Kirwaboum kamen noch nicht zur Ruhe. In aller Frühe mußte ja der Busch noch aufgezogen werden. ... In aller Eile wurde auch das geschafft, und als der Kirwabusch über dem Moiabamwipfel schaukelte, griffen die Kirwaboum droben auf dem Kegelberg zu ihren Instrumenten und bliesen im Chor Lob- und Danklieder ins Albachtal hinab. (HZ 30.8.1960)

 

Daran, dass der Baum bei dem jeweils die »Kirwa habenden Wirtshaus« aufgestellt worden sei, wie 1901 in der Gartenlaube berichtet wurde, kann sich in Alfeld niemand mehr erinnern. Aus Platzgründen sei es auch gar nicht möglich gewesen, den Baum vor einem der sechs Wirtshäuser aufzustellen, er habe schon immer auf dem Dorfplatz gestanden. Derjenige Wirt, der an der Reihe ist, besorgt den Maibaum und muß auch für Hut und Kopftuch aufkommen, welche einem der Kirwaboum und seiner „Bra(u)t“ zugedacht sind. Der Wirt, der jedem noch 3 Zigarren gibt, erhält für seine Aufwendung von jedem der Burschen eine Mark, steht 1927 in der Heimatbeilage der Hersbrucker Zeitung (Fischer 1927: 71). Der jeweilige Kirchweihwirt musste auch für eventuelle Schäden durch den »Moiabaum«, wie der Kirchweihbaum in Alfeld genannt wird, aufkommen. Heute bezahlt den Baum die Gemeinde Alfeld, der im Grafenbucher Forst geschlagen wird.

 

Bis heute wird der »Moiabaam« mit sogenannten »Schwalben« aufgestellt. Das sind zwei circa zehn bis fünfzehn Meter lange Rundhölzer mit circa 20 cm Durchmesser, die an einem Ende mittels Hanf-seilen und spezieller Knotentechnik miteinander verbunden sind und als Hubhilfe verwendet werden. In der Regel braucht man drei verschieden lange Paare. Seit der Dorfsanierung 1981 gibt es auf dem Dorfplatz ein betoniertes Loch, in dem eine Schräge die Aufstell- und Fallrichtung des Baumes bestimmt, um mögliche Schäden an den umstehenden Häusern zu vermeiden. Das Baumholen und -aufstellen geht ohne Musik der Alfelder Musikanten vonstatten, weil die jungen Männer tatkräftig zupacken müssen. Der Baum wird auch nicht, wie andernorts üblich, mit Musik ins Dorf »reingespielt«.

 

Das Spannen des Seiles vom Kegelberg zum Schneiderberg stellt ebenfalls eine Herausforderung dar. Besonders schwierig gestaltete sich dieser Akt zu den Zeiten, als Alfelds Dächer mit Stromleitungen überzogen waren. Um das Jahr 1963 schilderte Leonhard Bruckner die Bemühungen folgendermaßen: Ein guter „Werfer“ wirft eine Kartoffel, die an einer Schnur festgebunden ist, über die Leitungen und so wird das Buschenseil nachgezogen (Bruckner Heimat 1: 113). Dies geschah in den frühen Morgenstunden, in denen man den Strom abschalten konnte, weil die Alfelder noch in ihren Betten lagen. Dass nicht mehr die Kirwaboum, sondern der Posaunenchor inzwischen für den Weckruf zuständig ist, wird aus dem Zeitungsbericht des Jahres 1990 deutlich: ... um 5:30 geht es zum Aufziehen des „Goldenen Busch’n“. ... Ab 7 Uhr bläst der Posaunenchor vom Kegelberg zum Weckruf. Um 9:30 Uhr findet ... der Festgottesdienst ... statt (HZ 23.08.1990).

 

Der Kirwasamstag klingt bei Musik und Tanz aus. Für die Alfelder Musikanten ist er heutzutage »frei«, weil es keine Tanzgelegenheit mit traditioneller Musik mehr gibt. Aus den sechs Gastwirtschaften, die früher an der Alfelder Kirwa jeweils eigene Tanzveranstaltungen hatten, wurden mit der Zeit vier. Inzwischen findet der samstägliche Kirwatanz im Festzelt am »Berghof« statt und präsentiert sich als Liveact einer regionalen Rockband. 

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg war auch in Alfeld moderne Musik gefragt. Zeitungsannoncen aus den 1950er Jahren teilen die Namen der Kapellen mit und lassen erahnen, dass längst nicht mehr ausschließlich traditionelle Melodien erklangen. 1951 ist beim »Wallerwirt« Niebler und 1955 bei Familie Engelhardt im »Deutschen Hof« die Kapelle Schmidt aus Happurg belegt, die Sonntag und Montag spielte (HZ 25.08.1951 und HZ 27.08.1955). Nach den Aufzeichnungen von Georg Schmidt spielten die Happurger 1949, 1952 bis 1957 sowie 1959 und 1960 zur Alfelder Kirwa (Schmidt Einnahmen 2 und 3). Bis auf 1949 sind jährlich zwei Spieltage im Einnahmebuch verzeichnet, die Besetzung mit jeweils sechs Mann angegeben – mit den Ausnahmen acht Mann (1952) und jeweils sieben Mann (1953 und 1956). Beachtenswert ist die Anmerkung Georg Schmidts für die Kirwa 1956: Montag: Unterhaltungsmusik, 33.- bei 4 [Mann]. Der Eintrag markiert in etwa den Zeitpunkt, als Georg Schmidt begann, neben den traditionellen Tanzweisen auch moderne Schlager- und Tanzmelodien ins Repertoire seiner Kapelle aufzunehmen. Wie den Anzeigen der Hersbrucker Zeitung zu entnehmen ist, spielte die Kapelle Schmidt auch in den Jahren 1961 bis 1963 im »Deutschen Hof«.

 

Im Jahr 1958 spielte laut Zeitungsanzeige die Werkskapelle Sulzbach bei den Familien Engelhardt-Sörgel im »Deutschen Hof« (HZ 23.08.1958). Möglicherweise war dieser Kapellenwechsel die Folge jener Auseinandersetzung zwischen den Alfelder Kirwaboum und der Kapelle Schmidt, an die sich Günter Schmidt erinnern konnte, ohne sich auf ein bestimmtes Jahr festzulegen. Das ganze Wochenende über schwelte damals ein Streit zwischen den Schmidt’schen Musikanten und den Alfelder Kirwaboum wegen des Repertoires. Da passierte Günter Schmidt der oben geschilderte Fauxpas mit der geschmähten Kirwamelodie. Eventuell musste die Kapelle Schmidt aufgrund dieses Vorfalls 1958 im »Deutschen Hof« pausieren.

 

Neben der Kapelle Schmidt und den Alfelder Musikanten spielte unmittelbar nach dem Krieg eine Zeit lang die Wasslpäiter-Kapelle, berichtete Hans Vogel. 

 

Da waren in Alfeld drei Plätze Tanz. Da hat der Schmidt gespielt von Happurg ... nach dem Krieg hat es Schmidt geheißen, vor dem Krieg Dorn ... und dann haben die alten Alfelder gespielt und wir. Drei Plätze waren [zum] Tanz. ... Baumaustanzen haben wir nicht gehabt. Wir haben ... gespielt, wenn man von Hersbruck rein fährt, die erste Wirtschaft. Baumaustanzen hat bloß der »Wallerwirt« gehabt, der Blos und der Hos’ [der »Hasenwirt«, Gasthaus »Deutscher Hof«], das ist reihum gegangen. (Interview vom 27.02.1993)

 

1957 gaben die Alfelder Wirte gemeinsam eine Einladung zur Kirwa auf, aus der deutlich sichtbar ist, dass inzwischen unterschiedliche Musikgeschmäcker und Repertoirewünsche bedient wurden. Von fünf Gasthäusern haben nur noch drei Tanzveranstaltungen. Es sind dies die drei Traditionsgasthäuser, die abwechselnd »die Kirwa« hatten:

 

Auf zur Alfelder Kirchweih!

am kommenden Sonntag und Montag findet unsere traditionelle Kirchweih statt, zu der wir alt und jung höflichst einladen.

Speis und Trank voll Qualität

drum Euch jeder Gastwirt rät:

Kommt und kehret bei uns ein,

Jeder wird willkommen sein!

Deutscher Hof, Familie Engelhardt, Tanz mit Kapelle Schmidt

Scharfes Eck, Familie Gg. Niebler, Unterhaltungsmus. (Popp-Duo)

Wallerwirt, Familie Hans Niebler, Tanz m. den Alfelder Juniors

Goldener Stern, Familie Georg Maul, Unterhaltungsmusik, Kapelle Schübel, Amberg

Familie Blos, Tanz mit den Alfelder Juniors (HZ 24.08.1957)

 

Das Duo Popp aus Hersbruck spielte laut Zeitungsanzeigen auch in den Jahren 1958 bis 1963 im »Scharfen Eck«, die Kapelle Schübel aus Amberg desgleichen im »Goldenen Stern« (HZ 23.08.1958, 29.08.1959, 25.08.1960, 24.08.1961, 23.08.1962, 24.08.1963). Beim »Wallerwirt« Niebler vom »Schwarzen Roß« war 1962 wohl die Hauptkirchweih. Am Samstag gab es Unterhaltungsmusik, am Sonntag Tanz und am Montag fand vorm. ab 10 Uhr großer traditioneller Tanz mit Frühschoppen statt (HZ 23.08.1962). Welche Kapelle/n spielte/n, ist aus dem Inserat nicht zu erfahren. 1963 spielte dort die Tanzkapelle Sternband aus Sulzbach Rosenberg zum Frühschoppen am Kirwamontag (HZ 24.08.1963).

 

Noch etliche Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg besuchten die Alfelder ihre Gaststätten kreuzweis. Das heißt, nachdem sie eine Zeit lang bei einem Wirt waren, wurden sie von der Musik zum nächsten Gasthaus gespielt. Die dortigen Gäste wechselten auf die gleiche Weise ebenfalls die Lokalität und so konnte man in allen Wirtshäusern und mit allen Musikkapellen Kirchweih feiern, was für die Musikanten eine anstrengende Prozedur bedeutete. Georg Maul fasste die Aufgaben der Alfelder Musikanten aus den 1950er und frühen 1960er Jahren zusammen und beschrieb den Vorgang des Gast-hauswechsels:

 

Ja, wie gesagt mit dem Vater, wie ich da noch gespielt habe, hat man am Sonntag schon um zwei, halb drei die Kirwabuom geholt in der anderen Wirtschaft, dann hat man gespielt bis zwei, halb drei nachts. Am anderen Tag um zehn ist es wieder los gegangen, schon wieder das Tanzen, ... auf drei Sälen [ist] Tanz gewesen, vormittag schon ... Gleichzeitig, von zehn bis eins, halb zwei oder zwei. ...  Hat jeder eine eigene Musik gehabt, ja. Und dann hat man ein wenig verschnauft und um halb 4 haben die Kirwabuom schon wieder hergeschickt. Also hat man sie schon wieder holen müssen, da ist es schon wieder in den Saal hinauf gegangen. Ja, da hat man sie einmal in den anderen Saal hingespielt oder ist die Musik einmal gekommen, hat wieder einen Schwung geholt, und am Montag hat es dann ganz lang gedauert, weil da sind oft die, die in die Arbeit gegangen sind, die sind in der früh schon mit dem Bus gefahren, um halb fünf, oder dreiviertel fünf, weil bis um halb vier hat man meistens gespielt, dann hat es noch ein bisschen gedauert, bis man [aus dem Saal] runter gekommen ist, und ohne Morgensegen hat man ja nicht aufhören dürfen ... da ist es dann meistens vier, halb fünf geworden, ... [Das ist] ein Choral. Dass die Kirchweih ein Ende hat und dass ... das normale Leben wieder weitergeht. Mein Vater hat immer gesagt: wenn nur die Plage schon wieder rum wäre. (Interview vom 04.12.1996a)

 

1976 vermitteln die Zeitungsannoncen ein anderes Bild von der musikalischen Ausgestaltung der Alfelder Kirwa. Familie Sörgel vom Gasthaus »Deutscher Hof« hielt an drei Tagen Kirchweihtanz, am Samstag mit The Chains, Sonntag und Montag mit den Allrounds. Günter Schmidt konnte also den angestammten Platz der Happurger im »Deutschen Hof« noch bis in die 1970er Jahre behaupten (HZ 1976, undat. bei Leonhard Bruckner). Beim »Neuwirt« Heinrich Niebler im »Scharfen Eck« gab es ab Samstag Unterhaltungsmusik mit einer nicht benannten Kapelle. Im Gasthaus »Berghof« der Familie Maul fand Samstag, Sonntag und Montag Unterhaltungsmusik statt, am Montag ab 10 Uhr trad. Frühschoppen mit den Alfelder Musikanten. Die beiden anderen Wirtshäuser, das Gasthaus »Zum Roten Ochsen« der Familie Blos und das Gasthaus »Zum Goldenen Stern« der Familie Georg Maul (Högner) lud ohne Hinweis auf Musik zur Kirwa ein (ebda.).

 

Das musikalische Programm im Jahr 2009 sah für die »Vogelsuppe« traditionelle Musik mit den Kirchenreinbacher Spitzboum im »Scharfen Eck« und mit den Alfelder Musikanten im Gasthof »Berghof« vor. Auch am Freitag war wieder Platz für Überliefertes, beim Fränkischen Wirtshaussingen im »Scharfen Eck«. Im »Berghof« spielten am Freitag, Samstag, Sonntag und Montag mit Five Star Pioneers, Cook Ray’s Gone, Albtraum, Aeroplane, Jackson-Syndikat und Sayonaraz insgesamt sechs Rockbands. Zum Frühschoppen am Kirwamontag spielten die Alfelder Musikanten erneut im »Berghof«, während die Original Jura-Musikanten im »Scharfen Eck« mit traditionellen Melodien aufwarteten und im »Deutschen Hof« Unterhaltungsmusik angeboten wurde. (URL Alfelder Kirwa) Der Trend der 1970er Jahre nach moderner Tanzmusik hat sich demnach durchgesetzt. Seit etwa fünf Jahren aber ist auch zu beobachten, dass dich der Wunsch nach traditionellem Repertoire zu bestimmten Gelegenheiten deutlich gesteigert hat.

 

Der Kirwasonntag ist in Alfeld von anderen fränkischen Dorfkirchweihsonntagen nicht zu unterscheiden. An diesem Festtag ist die Kirche so voll, wie sonst nur an Weihnachten, Ostern und anderen bedeutenden Feiertagen. Auf dem Dorfplatz bieten anschließend einige Fieranten Süßigkeiten und Spielwaren an, für die Kleinen gibt es ein Karussell. Verwandtschaftsbesuch und Fußballspiel am Nachmittag, am Abend das Aufsuchen der einschlägigen Lokalitäten, je nach Alter, sind willkommene Gelegenheiten zum Feiern. 

 

Am Kirwamontag nimmt Urlaub, wer nur irgendeine Möglichkeit dazu hat. Der Höhepunkt des Festes beginnt für die meisten gegen 10.00 Uhr vormittags in einem der Gasthäuser. Ein Großteil der Alfelder Bevölkerung trifft sich im Gasthaus »Berghof«. Der Kirwafrühschoppen dort hat längst weithin Berühmtheit erlangt und zieht jährlich mehrere hundert Personen an. 1972 eröffnete Hans Maul, der Tubist der Alfelder Musikanten, auf dem Kühberg den Gasthof, der seit 1997 im Besitz seines Sohnes Georg ist. Zunächst fand hier, wie in den anderen Alfelder Gasthäusern ein kleiner Frühschoppen statt. Das Hauptgeschäft zur Kirchweih hatte zu Beginn der 1970er Jahre der »Hosn-Wirt«, wie der Wirt des 2004 geschlossenen Gasthauses »Deutscher Hof« von der Bevölkerung genannt wurde. Bei einem Autounfall verunglückte im Juli 1974 der 21jährige Gastwirtssohn zusammen mit seinem 19jährigen Freund tödlich, worauf die Wirtsfamilie drei Jahre lang keine Kirwafrühschoppen mehr ausrichtete. Das Gasthaus »Berghof« wurde daraufhin Stützpunkt der Kirwapaare und beherbergt den inzwischen einzigen Tanzboden am Kirwamontag.

 

Eigens für den Frühschoppen überdacht die Wirtsfamilie die Terrasse mit einem Zelt. Um einen Tanzboden gruppieren sich an drei Seiten etwa 25 Bierzeltgarnituren, die vierte Seite ist den Alfelder Musikanten vorbehalten. Sie können das Zelt, den Gastraum und eine weitere, kleinere Terrasse an diesem Tag nur mit Hilfe einer Verstärkeranlage beschallen und ergänzen das Ensemble mit einem Schlagzeuger. Einige Tische sind für die Kirwapaare und für die Honoratioren reserviert. Ansonsten gilt: wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Schon kurz nach 10.00 Uhr sind fast alle Plätze besetzt, doch ständig kommen neue Gäste hinzu. An der Schankanlage im Durchgang zwischen Zelt und Gasthaus herrscht ebenso Hochbetrieb wie in der Küche. Wenn die Musikanten zu spielen beginnen, füllt sich binnen weniger Minuten die Tanzfläche. Junge und alte Menschen, Einheimische und Fremde tanzen in Trachtenkleidung, Landhausmode, Jeans oder Sonntagsstaat Landler, Bairische, Schottisch und Rheinländer. Man kann geübte Paare, die sogar die Bairischen »linksrum« tanzen, und solche Paare, die zum geraden Takt prinzipiell Foxtrott oder Schieber auf’s Parkett legen, beobachten, auch Frauen tanzen paarweise miteinander. In unregelmäßigen Abständen schieben die Alfelder Musikanten bei dieser Spielgelegenheit Touren mit Marschfox und böhmischen Walzermelodien ein. Dabei tauschen die Klarinettisten ihre Instrumente gegen Saxophone. Getanzt wird dazu, was gefällt, so dass man nun auch Schottisch-Schritte zum Marschfox beobachten kann.

Gegen Mittag hört man in den Pausen immer wieder die speziellen Alfelder Kirwalieder. Daran ist zu erkennen, dass die Kirwaboum sich langsam im »Berghof« einfinden. Auch eine Gruppe ehemaliger Kirwaboum stimmt immer wieder Lieder an. Mitsingen ist allen erlaubt, ja erwünscht. Sobald genügend Kirwaboum anwesend sind, gibt es das erste »Ei’gmachte«, eine weitere Alfelder Spezialität, auf die später einzugehen ist. Erst gegen 15.00 Uhr machen die Musikanten Pause zum Essen. In der Zwischenzeit bereiten sich zwei Kirwaboum auf das »Eilwagenfahren« vor. Dann steht der Bulldog mit geschmücktem Anhänger bereit, auf dem die Musikanten Platz nehmen. Ein zweiter Bulldog schleift einen entasteten Baumstamm hinter sich her, an dessen hinterem Ende ein Bulldogreifen befestigt ist. Dort nehmen die »Eilwagenfahrer«, oder, wie sie in Alfeld heißen, die »Roußerer« (von Ruß) Platz. Zögerlich formiert sich der Kirwazug. Nach dem »Musikantenwagen« gehen Kirwaboum und -moidla, paarweise, aber nicht mit dem Partner / der Partnerin, mit welchem sie später den Baum austanzen werden. Den Kirwapaaren schließen sich in bunter Folge alle Frühschoppengäste an. Mit Musik geht es vom Kühberg ins Dorf hinunter, wo der Weg von vielen Schaulustigen gesäumt ist. Immer wieder hält der Zug an, weil sich die Kirwaboum bei den Musikanten mit »Ei’gmachten« bedanken. Eine günstige Gelegenheit für die »Roußerer«, einige Zuschauer zu schwärzen. Ist der Zug am Dorfplatz angekommen, löst er sich auf. Die Kirwaboum und -moidla ziehen sich zu Hause um, die Schaulustigen versuchen, die besten Plätze unterm »Moiabaam« zu bekommen.

 

Schon bei der »Vogelsuppe«, während des Frühschoppens und beim Zug ins Dorf können alle Anwesenden eine Alfelder Besonderheit miterleben: Einige Kirwaboum stellen sich in einer Tanz- oder Musizierpause vor den Musikanten auf, woraufhin diese die Melodie eines Kirwaliedes anstimmen. Die Kirwaboum singen lauthals mit und verbeugen sich mehrfach vor den Musikanten. Immer mehr Kirwaboum stürmen zu ihren Kollegen, so dass sich vor den Musikanten in kürzester Zeit ein schwankendes Menschenknäuel bildet. Nachdem der Vers gesungen ist, stoßen die Kirwaboum einen lauten »Gurzer« (Juchzer) aus und die Musikanten beginnen direkt mit einem Landler. Die Kirwaboum begeben sich zu ihren Plätzen oder tanzen. Dieses Ritual, das man nur in Alfeld beobachten kann, nennt man »das Einmachen« oder »ein Ei’gmachts«. Woher der Name kommt, konnte bisher niemand erklären. Wie das Ritual in etwa entstanden ist, schilderte Georg Maul 1996: 

 

Früher hat man halt gesagt, ein Leibstückl vorspielen. Jetzt heißt’s schon Eingemacht. Jetzt tun sich halt alle zusammen, früher haben sich bloß drei oder vier hingestellt, haben gesagt: jetzt spielst du mir einmal den vor, dann haben sie ein Lied vorgesungen und dann hat man nachgespielt. „Ei Voder, wenn gi(b)st amol üwa“ oder „Wenn’s Joah(r) amol a Kirwa is“ oder „Eitz geh mer  uman Moiabaum“ oder „Am Strahrechan drauß is gschehng“. Und die hat man da vorgespielt ... und dann haben sie jetzt drei Touren angefrümmt ... (Interview vom 04.12.1996a) 

Die Lieder sind bis heute die gleichen geblieben. Allerdings fangen heute nicht die Kirwaboum zu singen an, das Stück wird auch nicht nachgespielt, sondern die Musikanten begreifen das Aufstellen der Kirwaboum vor der Musik als Aufforderung zum »Ei’gmachten« und spielen dasjenige Lied, welches der erste Klarinettist beginnt. Beim Zug ins Dorf und teilweise auch beim Frühschoppen gibt der selbsternannte »Zeremonienmeister« Christoph Maul mit einem hölzernen Spazierstock den Einsatz für die »Ei’gmachten«. 

 

Christoph Maul, der fünf Jahre ältere Halbbruder von Georg Maul legte ähnlich wie Leonhard Bruckner im Zweiten Weltkrieg ein Gelübde ab. Sollte er je wieder nach Hause kommen, wolle er alljährlich an der Kirwa teilnehmen und dafür Sorge tragen, dass die alten Bräuche nicht in Vergessenheit gerieten. 

 

Bei mir hängt es mit dem Krieg zusammen, weil ich war auf den ... britischen Kanalinseln und wie die Invasion war, da hat man ja nicht gewusst: kommt man noch einmal heim oder kommt man nicht heim. Dann hat man an die Kirwa gedacht, dann hat man gesagt: Mensch, Kirwa, wenn du die noch einmal erlebst, dann bist du dankbar und da halte ich mich dran. So lange ich lebe und ich kann noch lustig sein, mache ich die Woar. (Interview vom 28.08.1995)

 

Der »Kirwa-Christoph« nimmt sein Versprechen auch im hohen Alter sehr ernst. Mit schwarzer Hose, weißem Hemd und schwarzem Hut schreitet er stolz dem Zug voran. Er möchte den jungen Leuten mit Rat und Tat zur Seite stehen, wenn sie Fragen zur Kirwa haben: ... ich brauche die nicht im Griff haben, sondern die kommen selber zu mir... (ebda.).

 

Den Musikanten in der Hersbrucker Alb ist das »Einmachen« nur aus Alfeld bekannt. Michael Kellermann aus Fürnried erläuterte den Unterschied zwischen Alfeld und Fürnried aus seiner aktiven Musikantenzeit zwischen den 1960er und 1980er Jahren: 

 

Ich habe in Alfeld zwei- oder dreimal Kirwa gespielt. Ich habe die Stücke überhaupt nicht gekannt. Die vorgesungen worden sind, das wird doch nachgespielt. ... Bei uns hat es das nicht gegeben. ... Die singen meinetwegen, zwei oder drei Verse, oder plägen, das ist nicht so wichtig, und dann machst du einen Landler drauf, oder einen Schottisch. ... Die Alten haben das gekonnt, aber du brauchst es nur das Jahr einmal, weil bei uns gibt es das nicht, dann ist es weg, fort. (Interview vom 03.06.2000) 

Auch aus seiner Erklärung wird deutlich, dass das »Einmachen« ursprünglich in enger Verbindung mit dem »Anfrümen« steht. Ein Tänzer stimmt dabei eine Melodie an. Diese Melodie müssen die Musikanten aufgreifen und zu einem Tanz von angemessener Länge weiterführen. Der auf diese Art bestellte Tanz muss vom Tänzer bezahlt werden, der wiederum das Recht hat, ihn allein mit seiner Partnerin zu tanzen. Die »Anfrüm«-Praxis ist in verschiedenen europäischen Ländern belegt, im Alpenraum teils schon im 18. Jahrhundert (vgl. Heigl 1997: 15-20). In der Hersbrucker Alb kennt man für diese Art der »Programmgestaltung« auf den ländlichen Tanzböden den Begriff »Dreitanzen«:

 

In alten Zeiten gab es im Hersbrucker Land einen auf den Kirchweihen vielgeübten Brauch, das „Dreitanzen“. Unter Dreitanzen waren drei Extratouren für Tänzer zu verstehen, welche die Musikanten besonders dafür bezahlten. Während sie die drei Touren tanzten, mußten alle anderen Tänzer sich von der Tanzfläche zurückziehen und sich mit dem Zuschauen begnügen. Man nannte dies „Aushalten“. Zu der Zeit, als das Dreitanzen noch Brauch war, wurde das Tanzgeld noch von den Musikanten eingehoben. An der Saaltüre brauchte man keinen Eintritt zu bezahlen. Jedermann hatte freien Zutritt in den Saal und die anstoßende „Zechstube“. Wer sich nur in der Zechstube aufhielt, ohne zu tanzen, hatte außer seiner Zeche überhaupt nichts zu zahlen. Wer dagegen das Tanzbein schwang, mußte Tanzgeld entrichten, und zwar direkt an die Musikanten. Zur Zahlung verpflichtet waren damals nur die Herren der Schöpfung, kurz „Boum“ genannt, die „Moila“ waren von der Entrichtung eines Tanzgeldes befreit. ...

Wenn es auf die Nacht zuging, dann erreichte die Kirwastimmung auf den Tanzböden ihren Höhepunkt. Die Tanzfläche wurde dann meistens zu klein, und es war unmöglich, daß alle Tanzlustigen sich gleichzeitig schwingen konnten. Ein Teil von ihnen mußte immer zuschauen, obwohl sie sich gern, und sei es nur für ein paar Touren, auf den Brettern bewegt hätten. In solchen Lagen war dann die Zeit für das Dreitanzen gekommen. Nach einem Trompetensignal kündigte der Kapellmeister beispielsweise an:„So, Leit, halts a mal a weng aus, da sind a paar Herren da von auswärts, die müssen heimgehen; sie möchten aber noch ein paar Touren tanzen.“ Die so jovial angesprochenen „Leit“ waren gespannt auf die betreffenden „Herren“ und hielten aus. Die angekündigten Dreitänzer entpuppten sich allerdings als waschechte Einheimische und dachten nicht im entferntesten daran, heimzugehen. Aber der Bann war gebrochen, das Dreitanzen hatte begonnen und riß meistens bis zum Schluß des Kirchweihtages auch nicht mehr ab.

Für die Musikanten bedeutete dies in jedem Fall einen guten Sonderverdienst, den sie sich nicht gern entgehen ließen. Die Dreitänzer hatten nämlich die Extratouren besonders zu bezahlen und die Mindesttaxe für drei Tänze, die bestellt werden konnten, betrug im allgemeinen einen Taler, mithin drei Mark.

Aber auch der „Kirwawirt“ war weitgehend interessiert, daß sein Kirwageschäft, vor allem aber der Bierausschank, gut florierte. In dieser Hinsicht kam ihm das Dreitanzen ebenfalls sehr zustatten. Für die Dreitänzer war es nämlich Ehrensache, daß fünf bis zehn mit Gerstensaft gefüllte steinerne Maßkrüge in die Mitte des Tanzbodens gestellt wurden, um die sie ihre Runden drehten und die selbstverständlich auf ihre Rechnung gingen. Nach Schluß der Extratouren klopfte der Geiger mit seinem Bogen unmißverständlich auf sein Instrument zum „Schönmachen“, wie es von den Musikanten genannt wurde. Unter „Schönmachen“ war die Entrichtung des Obolus an die Kapelle zu verstehen. Fiel die Bezahlung recht gut aus, dann wurde schnell noch ein „Kurzer“, meist ein schneller Dreher, drangehängt, gewissermaßen als Zugabe. Dann hatten die Dreitänzer die Tanzfläche wieder zu räumen; denn die anderen Tanzlustigen warteten schon ungeduldig darauf sich wieder in den Trubel stürzen zu können.

Für die Musikanten war der nun folgende Betrieb sehr anstrengend; denn wenn das Dreitanzen einmal richtig florierte, gab es für sie praktisch keine oder nur sehr geringe Pausen. War eine Extratour beendet, mußte gleich wieder mit dem Spielen für „alle“ begonnen werden, weil ja alle für ihr Tanzgeld zu ihrem Recht kommen wollten. (Bauer 1969a, 11f)

 

Ob Leonhard Bauer mit seinem Bericht beschrieb, was er in den 1920er Jahren als Mitglied der Happurger Bauernkapelle erlebte, oder ob er auf Erzählungen älterer Leute zurückgriff, ist nicht ersichtlich. Georg Maul erinnerte sich, was das »Dreitanzen« betrifft, an die Alfelder Praxis der späten 1930er Jahre und der unmittelbaren Nachkriegszeit: 

 

Da kommen welche und sagen: Hanni wir wollen jetzt drei tanzen. Dann hat er gesagt: ja, jetzt müsst ihr warten, weil jetzt müssen wir erst für die anderen noch spielen, oder: die sind jetzt dran. Da waren oft zwei, drei drangestanden ...  das war nicht so einfach, da ist oft gestritten [und] gerauft worden, weil ... wenn [welche] rein getanzt haben, die haben sie hinausgeschmissen. ... Aber da hat man dann schlichten müssen, und dann hat er gesagt: so jetzt musst du ein wenig warten. Und dann – der Alt’ Wamperl – wenn dann [welche] doch nicht gleich gezahlt haben, dann hat er auf seine Geige draufgehaut und hat so draufgeklopft. »Manna, Steck einglubm, Scheemachn«. »Scheemachnn«, also »Zahlen!« Und bevor dass nicht gezahlt worden ist, hat man halt noch gewartet, weil auf zuletzt, manchmal sind die wieder abgehauen und dann war nicht gezahlt. ... oft war es eine Angeberei auch... Die Mädchen sind da nicht kassiert worden frühers, die haben nichts zahlen müssen, bloß die Buben. Dann hat man halt durchs Dreitanzen ... nebenbei noch ein Geld verdient. (Interview vom 04.12.1996)

 

Ähnlich schilderte Hans Vogel seine Erinnerungen: 

 

Da sind zum Beispiel, eine Gruppe, die sind vor den Musikanten hingestanden, haben ein paar Maß Bier hingestellt und ein paar Gebäckstücke hinaufgelangt: Jetzt macht uns das ein! »Strahrechan«, oder »Wann i auf Roßenberg gäih« ... Musikanten haben es gespielt, die haben dann ihre Viecherei gemacht ... die haben schon mitgesungen. Und dann das Dreitanzen noch, Extratouren. Da haben sie wieder zahlen müssen und der Wirt hat ihnen ein Bier hineingestellt, damit er auch ein Geschäft macht. ... und dann hat sich der Kellner drüber gestellt, dass sie [die Krüge beim Tanzen] nicht umgeschmissen haben. Wenn dann die Extratour zu Ende war, haben die ihre Maßen ausgesoffen und haben sie zahlen müssen. Und den Musikanten was zahlen müssen und da ist noch mehr gerauft worden. Wenn da einer hineingetanzt hat, ist eingeschmissen worden und dann ist das Raufen losgegangen. (Interview vom 27.02.1993)

 

Erst als die Wirte dazu übergingen, das Tanzgeld bereits an der Saaltüre als Eintritt zu erheben, und zwar für jede Person, trat in dieser Hinsicht ein grundlegender Wandel ein. ... Wie viele andere ländliche Bräuche hat auch das Dreitanzen auf den Kirchweihen im Wandel der Zeiten aufgehört, und, offen gestanden, zum Beat und Pop von heute würde es auch nicht mehr passen, resümierte Leonhard Bauer (Bauer 1969a, 12).

 

Möglicherweise hat sich also das »Dreitanzen« in Alfeld zur heutigen Form des »Einmachens« gewandelt. Aus den einzelnen Tänzern wurde die Gruppe der Kirwaboum, die vielleicht eine Zeit lang Extratouren bekamen. Sonderzahlungen an die Musikanten entfielen. Der ursprünglich intendierte Tanz entfiel, schon allein deswegen, weil diese Art Tänze nach dem Zweiten Weltkrieg bei der Jugend bald nicht mehr gefragt waren. Im Zug einer heimatpflegerischen Rückbesinnung wurde der Brauch wieder aufgenommen und dabei verändert. Nicht mehr die Tänzer »frümen« eine Melodie an, sondern die Musikanten geben diese vor. Irgendwann erfolgte wohl die Umdeutung des Brauches in eine Verneigung vor den Musikanten, als Dank für ihre Dienste während der Kirwa. Außerdem muss das »Dreitanzen« in engem Zusammenhang mit dem Spielen der »Leibstückl« betrachtet werden. Bei Letzteren wurde vielleicht deswegen nicht getanzt, weil sie von den älteren »gesetzteren« Bauern bestellt wurden. 

 

Auch in Effeltrich, der berühmten »Brauchtumsinsel« in der Fränkischen Schweiz kannte man das »Neimachen«, wie ein Bericht um 1905 belegt. Im Zusammenhang mit einer Beschreibung der lokalen Kirchweihbräuche übermittelte E. Pfister in einem derzeit noch nicht verifizierten Aufsatz, dass nach dem Austanzen des Kirchweihbetzen das Siegerpaar 

 

eine »Extra-Tour« [bekam], das mit einem Faß Bier honoriert wurde. Dann wurde »Neigmacht«, d.h. hineingelegt. Jeder Bursche oder Mädchen, der ein Geldstück in den bereitstehenden Hut eines Musikanten oder eines Tellers legte, durfte sich einen speziellen Tanz wünschen, den ER oder SIE mit dem Tanzpartner tanzte. Anschließend kamen dann die Tanzfreunde auf ihre Rechnung. (Pfister 1905: zit. nach Kotz 1980: 148) 

 

Die Abhandlung »Die Kirchweih zu Effeltrich. Ein Beitrag zur Volkskunde der Bayerischen Ostmark« von Friedrich Heinz Schmidt aus dem Jahr 1938 beinhaltet keine Hinweise auf derartige Bräuche (Schmidt 1938).

 

Die Mitglieder des Alfelder Heimat- und Trachtenvereins zeigten ihren spezifischen Brauch auch, wenn sie zu den Oktoberfestzügen nach München »ausrückten«. 1967 titelte die Hersbrucker Zeitung BBC filmt »Eimachn«. Den Bericht hatte kein anderer als der Initiator des Vereins und Organisator der Teilnahme an den Umzügen, Leonhard Bruckner verfasst. 

 

Als sich am Maximiliansdenkmal der Zug staute, wurden die Trachtler sofort aktiv. Sie ließen sichs von der Musik »eimachn« (wobei sie vor der Musik in die Knie gehen) und sangen dazu »Hob i mei Letta ka gout net dou«. Sie wurden sofort von einigen Dutzend Pressefotografen umringt und geknipst. Sogar BBC London hielt diese Mordsgaudi fürs Fernsehen fest und die Zuschauer klatschten reichlich Beifall. (HZ 20.09.1967) 

 

Erstaunlich ist, dass das »Einmachen« bisher noch nirgends Nachahmung gefunden hat, obwohl gerade in den letzten fünf Jahren verstärkt junge Leute aus der Volksmusikpflege-Szene die Alfelder Kirwa besuchen und sich Anregungen für ihr eigenes Tun holen.

 

Ein anderes Element der Alfelder Kirwa, das »Eilwagen-« oder »Schleifradfahren«, ist ein im Nürnberger Land weit verbreiteter Kirchweihbrauch. Aktuelle Untersuchungen zur Verbreitung und verschiedenen Ausformungen liegen nicht vor, doch sind im Internet zahlreiche Belege vorhanden. 1955 widmete der Erlanger Heimatforscher Eduard Rühl dem »Eilwagenfahren« einen Beitrag im »Bayerischen Jahrbuch für Volkskunde«. Besonders anschaulich beschrieb er den Brauch:

 

»Ein Leiterwagen, als Kirchweihwagen mit Laubwerk geschmückt, gezogen von ebenfalls geschmückten Pferden (bald wird es ein Traktor sein), besetzt mit singenden Jungburschen, fährt am Kirchweihmontag durch das Dorf. Ein langes, kräftiges Rundholz wird mit seinem einen Ende so am hinteren Teil des Wagens befestigt, daß das andere Ende am Boden aufschleift. An diesem Ende hält ein starker Nagel ein großes Wagenrad waagrecht oder schräg zum Boden fest, daß es, wenn der Wagen fährt, bald rechts, bald links auf dem Boden aufschleift und sich dadurch unregelmäßig zu drehen beginnt. Auf dem Rad sitzen zwei meist primitiv maskierte oder auch geschwärzte Burschen, die sich krampfhaft auf dem sich drehenden Rad festhalten. Zu diesem Zweck ist auf den als Achse dienenden Nagel ein Rohr aufgesteckt, oder etwa in Armhöhe ein kleineres Rad. Das Gaudium der Zuschauer ist groß, zumal, wenn unter der ständigen Drehung der Kirchweihmagen seinen Inhalt nicht mehr zu behalten vermag.«  (Rühl 1955: 176)

 

Noch 1955 deutete Eduard Rühl den Brauch als Frühlingsbrauch, in dessen »Kern [man] einen alten Vegetationskult« vermuten könne, dessen Sinn aber offenbar verloren gegangen sei. Mancherorts in Franken sei er »nur aus Jux« wieder aufgenommen worden (ebda., 177).

 

»Die Gesamtsituation zeigt ein rapides Abbröckeln, und wo der Brauch sich bisher noch gehalten hat, verdankt er dies in erster Linie seiner Eigenschaft als Heischebrauch. ... Nicht ganz unschuldig am allmählichen Verschwinden des Brauches sind leider auch z.T. die Gemeindebehörden. So hat die Stadtverwaltung von Röthenbach an der Pegnitz (Lkr. Lauf) den Brauch verboten, weil er zur Bettelei ausgeartet sei. ... Es bleibt zum Schluß noch die Erklärung der Bezeichnung „Eilwagen“. Wenn man weiß, daß durch das Pegnitztal, gewissermaßen die Hochburg dieses Brauches, die alte Fernverkehrsstraße Nürnberg-Prag verlief, so bietet sich eine Erklärung fast von selbst an. Auf dieser Route verkehrten natürlich auch beschleunigte Postwagen, „Eilwagen“, so daß den Anwohnern dieser Begriff durchaus geläufig war. Man könnte demnach annehmen, man haben den langsam fahrenden Kirchweihwagen mit dem hinterherwackelnden Schleifrad in scherzhafte Parallele gestellt mit dem schnellen Eilwagen. Das wäre ein Beitrag zum fränkischen Volkshumor.« (ebda.)

Eduard Rühl schloß sich jedoch der Deutung O. Bertrams an, der 1942 in den Bayerisch-Südostdeutschen Heften für Volkskunde über »Das Radschleifen« berichtet hatte: »Seinen Namen hat der Brauch daher, daß die Burschen, die die Nacht vom Pfingstsonntag auf Montag in der Wirtschaft gezecht hatten, und deshalb Eulen hießen ... (den Brauch solange übten) bis ihnen schlecht wurde« (Bertram 1942: 19f, zit. nach Rühl 1955: 178f). Friedrich Kohl sah im »Schleifradfahren«, das er aus dem Landstrich zwischen Pegnitz und Schwarzach kannte, eine Parodie auf die Kutschpost zu alten Zeiten, wenn die Bauern den Reisenden bei Radbruch etc. halfen und sie auf einem Leiterwagen zur nächsten Poststation brachten (vgl. Kohl 1993: 90).

 

In Alfeld übernehmen jeweils die beiden jüngsten Kirwaboum die Plätze auf dem »Eilwagen«. Gesichter, Hälse, Hände, Arme und Beine werden mit einer dicken Rußschicht bedeckt. Einer der beiden Burschen trägt Kopftuch, Schultertuch, Jacke und Rock, der andere Hut und Anzug. Auch die schwarze Kleidung ist rußbeschmiert. Eduard Rühl verzeichnete Alfeld 1955 als »bisher festgestellten« Belegort für das »Eilwagenfahren« (Rühl 1955: 178). Der Alfelder Bürgermeister Karl-Heinz Niebler (* 1958) erzählte, dass das »Eilwagenfahren« erst in den 1970er Jahren wieder aufgekommen sei. Die ersten Jahre zog die Kirwagesellschaft noch ohne »Eilwagen« vom »Berghof« in die Ortsmitte (Gespräch vom 31.08.2009). Möglicherweise wurde der Brauch erst anlässlich der Fernsehaufzeichnung 1974 wiederbelebt. Die rußgeschwärzten »Eilwagenfahrer« sorgen immer wieder für lautes Gekreische, wenn sie auf die Zuschauer am Straßenrand zustürzen und mit Vorliebe junge Mädchen und vorlaute Zeitgenossen an sich zu drücken versuchen. Besonders beliebt ist das Amt allerdings nicht, weil sich die von der bereits vier Tage dauernden Kirwa »geschwächten« Burschen vor dem »Baumaustanzen« gründlich säubern müssen. Das es sich beim Alfelder »Eilwagenfahren« um den Rest eines Heischebrauches handeln könnte, lässt der Bericht von Heinrich Fischer aus Otzenberg über Kirchweihbräuche zu Alfeld vermuten, der in der Heimatbeilage der Hersbrucker Zeitung von 1927 abgedruckt ist: Am Kirwadienstag gibt es noch eine kleine Nachfeier. Ein Bursche markiert den Kirwabärn. Der wird mit zerissener Kleidung auf einen Wagen gehoben und im Dorfe umgefahren. Dabei wird Trinkgeld zum Verzechen am Abend freundlichst entgegengenommen. (Fischer 1927: 71) Aus dem Kirwabären könnten im Laufe der Zeit die rußgeschwärzten Eilwagenfahrer geworden sein.

 

Etwa ab 17:45 Uhr treffen nach und nach die Kirwapaare im Gasthaus »Zum scharfen Eck« ein. Jeder einzelne zahlt beim »Kirwa-Kapo«, dem Oberkirwaboum, sein »Juppengeld«. Dies ist eine Art Leihgebühr für die einheitlichen schwarzen Westen, die die Kirwaboum ausschließlich zum »Baumaustanzen« tragen. Jede Weste ist auf der Rückseite mit weisser Kreide durch eine fortlaufende Nummer und ein Symbol für den Beruf des jeweiligen Burschen bezeichnet. Die Nummern null bis fünf sind für die ältesten Kirwaboum reserviert. Einer von ihnen wird höchstwahrscheinlich der »Houterer« werden. Die übrigen Nummern werden frei vergeben. Lediglich dann, wenn ein Kirwabou besonders selten am Kirwaliedersingen teilgenommen hat, bekommt er absichtlich eine der letzten Nummern. Außer der »Juppe« tragen die Kirwaboum weiße Oberhemden, schwarze Hosen und schwarze Schuhe. Von 1970 datiert das erste Foto, das die Alfelder Kirwaboum in »Juppen und nicht mehr, wie bisher üblich, in Anzügen beim »Baumaustanzen« zeigt. Nach Aussagen me«hrerer Gewährspersonen hatte bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg jeder Kirwabou zum »Baumaustanzen« einen Hut auf. Seit wann dies nicht mehr der Fall ist, konnte bisher noch nicht geklärt werden. Die Kirwamoidla tragen seit etwa Mitte der 1990er Jahre Dirndl und Landhauskleider nach aktueller Mode und eigenem Geschmack. Vorher waren modische Sonntagskleider üblich.

 

Sind endlich alle Paare versammelt und alle »Juppen« verteilt, formiert sich ein Zug. Den Alfelder Musikanten folgt an der Spitze des Zuges der »Platzknecht« mit seiner Partnerin. Er trägt keine »Juppe«, sondern hat eine weiße Schürze umgebunden. Und er trägt den mit einem roten und einem grünen Stoffband geschmückten schwarzen Filzhut, an den im Nacken ein weißes Leintuch angeheftet ist. Außerdem führt er die »Kirwaliesl« mit sich, eine große hölzerne, mit Bier gefüllte Kanne. Seine Partnerin trägt den Blumenstrauß, der später beim Tanzen benötigt wird. Danach kommen die Kirwapaare in der Reihenfolge der Rückennummern. Sobald sie in Hörweite des Dorfplatzes kommen, stimmen die Alfelder Musikanten den »Baumlandler« an. Der »goldene Busch’n« beginnt kräftig zu schwanken. Mehrere Alfelder, die sich am Kriegerdenkmal auf dem Kegelberg aufhalten, sorgen dafür, dass dies kontrolliert abläuft, indem sie das Befestigungsseil bewegen. Bald zieht die Gesellschaft die schiefe Ebene zum Dorfplatz herauf. Jeder Kirwabou trägt in der Linken einen noch reichlich gefüllten Maßkrug und hält in der Rechten eine brennende Zigarre. Die Kirwamoidla haben sich am rechten Arm ihres Kirwaboum eingehakt. Musikanten und Kirwapaare gehen rechts um den Baum herum, der Platzknecht mit seiner Partnerin umrundet den Baum links herum. Sie übergibt den Blumenstrauß an das Kirwamoidl des ersten Burschen. Sobald der Landler zu Ende ist »gurzen« die Kirwaboum und singen anschließend das Lied Etz gemma um an Moiabaam etz gemma um an Plotz. Dou kumma die alt’n Weiber zamm, dou woiss a jede wos. [Jetzt gehen wir um den Maienbaum, jetzt gehen wir um den Platz. Da kommen die alten Weiber zusammen, da weiss jede etwas.] (vgl. Sebald 2006: 14f) Kirwamoidla, die mitsingen möchten, dürfen dies gern tun. Inzwischen haben die Musikanten an der Seite Aufstellung genommen und die Kirwapaare haben den Baum einmal umrundet. 

Nach dem Lied »gurzen« die Burschen wieder, stellen nach einem kräftigen Schluck ihre Maßkrüge zu Füßen des »Moiabaams« ab und löschen ihre Zigarren aus. Die Musikanten spielen erneut einen Landler, die Paare tanzen ohne große Vorwärtsbewegung annähernd auf einer Kreisbahn um den Baum herum. Dabei wird, auf Höhe der Musikanten, der Strauß entgegengesetzt der Tanzrichtung weitergegeben. Der »Platzknecht« und seine Partnerin umrunden den Baum während der gesamten Zeremonie weiterhin links herum gehend, nicht tanzend. Wo es nötig ist, schenkt der »Platzknecht« aus der »Kirwaliesl« bei den Maßkrügen nach. Ist der Landler zu Ende, wird erneut gegurzt, jeder Kirwabou nimmt den am nächsten stehenden Maßkrug, geht zu seiner Partnerin zurück und hakt sie wieder unter. So folgen nun Kirwalieder auf Landler, ab und zu unterbrochen durch ein »Eigmachts«. Daran beteiligen sich bei dieser Gelegenheit nicht alle Burschen. Einige von ihnen führen derweil die Mädchen weiter um den Baum, rechts und links eine eingehängt. Manche Mädchen gehen währenddessen auch paarweise weiter. Während dieser ganzen Zeit kommt es durchaus vor, dass das auserkorene Paar den Blumenstrauß sogar mehrfach in Händen hält. 

 

Doch erst nach etwa einer halbe Stunde gibt der Oberkirwabursch das Zeichen für den Schuss. Ist dieser gefallen, unterbrechen die Alfelder Musikanten ihren Ländler sofort mit einem Tusch. Alle Kirwaboum stürzen sich auf den frisch gekürten »Houterer«, jeder versucht, ihm den Hut wieder und wieder auf den Kopf zu drücken. Der »goldene Busch’n« wird niedergelassen und landet zielsicher im Tanzrund. Sofort ist ein Helfer zur Stelle, der ihn vom Seil abnimmt und in Sicherheit bringt. Nach einigen Minuten stimmen die Musikanten ein »Eigmachts« an, an dem sich nun alle Burschen beteiligen. Nach dem obligatorischen  »Gurzen« spielen die Musikanten erneut den »Baumlandler«. Der »Houterer« und seine Partnerin tanzen allein entgegengesetzt der Tanzrichtung um den Baum herum, gefolgt lediglich von dem Helfer, der den »goldenen Busch’n« tanzend über ihre Köpfe schwingt. Die anderen Kirwapaare stehen im großen Kreis außen herum und klatschen rhythmisch. Anschließend formiert sich der Zug, der jetzt von dem Helfer mit dem »goldenen Busch’n« angeführt wird. Hinter den Musikanten folgen der »Houterer« und der »Platzknech«t mit ihren Partnerinnen, danach die Kirwapaare wieder in der Reihenfolge ihrer Rückennummern. Noch einmal umrundet die ganze Gesellschaft den Baum rechts herum, der Busch’nträger sogar tanzend. Danach geht es wieder Richtung Gasthaus. Während sich der Dorfplatz schnell leert, kümmern sich weitere Helfer um das Seil. Wenig später können die Kirwapaare auf dem fast menschenleeren Dorfplatz ein Gruppenfoto machen.

 

Wie es nach dem Gruppenfoto für die Kirchweihpaare weiter geht, schilderte Albert Geng knapp in seiner Ortschronik: 

 

»Früher musste der jeweilige Kirchweihbursch sein Mädchen mit dem Fahrrad zur Trautmannshofener Kirchweih fahren, wo sie ihm Hosenträger kaufen musste. Das wird heute nicht mehr gemacht ... Der Wirt, zu dem sich die Kirchweihpaare nach dem „Baumaustanzen“ begeben, wurde und wird von Jahr zu Jahr gewechselt.« (Geng 2006: 220) 

Der oben zitierte Bericht aus der Gartenlaube von 1901 zeigt, dass an der Alfelder Kirchweih und vor allem an seiner einmaligen Form des »Baumaustanzens« schon früh heimatkundliches Interesse bestand. Zeitungsannoncen aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg belegen, dass längst nicht nur Einheimische und deren Verwandte teilnahmen, sondern Schaulustige aus nah und fern kamen. 

 

Fahre Sonntag u. Montag zur Kirchweihfeiher nach Alfeld. Abfahrt: Sonntag morgens von Hersbruck ab 8.00, nachm. 1.30, Montag nachm. 3.00, wozu höflichst einladet Übelacker (HZ 23.08.1919)

 

Anläßlich der Alfelder Kirchweih am kommenden Sonntag und Montag werden folgende Kraftpostfahrten durchgeführt: Sonntag, 29. August: Hersbruck ab 1 Uhr nachm., Alfeld an 2 Uhr nachm.; Alfeld ab 7 Uhr nachm., Hersbruck an 8 Uhr nachm.; Montag, 30. August: Hersbruck ab 1 Uhr nachm., Alfeld an 2 Uhr nachm.; Alfeld ab 6.30 Uhr nachm., Hersbruck an 7.30 nachm. (HZ 27./28.08.1926)

 

Hersbruck, 22. Aug. Anläßlich der Kirchweih in Alfeld werden nachstehende Autobedarfsfahrten am Sonntag den 24. und Montag den 25. August ausgeführt: Sonntag, 24. Aug.: Hersbruck ab 13,30 Uhr, Alfeld an 14,20 Uhr; Alfeld ab 19,00 Uhr, Hersbruck an 19,50 Uhr. Sonntags werden bei genügender Anteilnahme weitere Bedarfsfahrten in beiden Richtungen gefahren. Auskunft erteilt Postamt Hersbruck. – Montag, 25. Aug.: Hersbruck ab 13,30 Uhr, Alfeld an 14,20 Uhr; Alfeld ab 19, 00 Uhr, Hersbruck an 19,50 Uhr. Die Bedarfsfahrten bieten Zuganschlußmöglichkeiten in Richtung: Nürnberg, Marktredwitz und Furth i.W. (HZ 22.08.1930)

 

Auch 1931 und 1938 wurden Fahrten zur Alfelder Kirchweih von Hersbruck aus angeboten (HZ 28.08.1931 und HZ 26.08.1938). Bei einem Inserat 1933 wurde darauf hingewiesen, dass es für die Postautofahrten zur Alfelder Kirchweih einer Mindestteilnehmerzahl von 10 Personen bedürfe (HZ 26.08.1933).

 

Eine besondere Attraktion boten die Alfelder ihren Gästen 1927. Am Mittwoch vor der Kirchweih erschien in der Hersbrucker Zeitung zunächst ein kurzer Artikel, der auf den außergewöhnlichen Ablauf des Festes hinwies und zur Teilnahme einlud.

 

Unsere allseits aufs beste bekannte Kirchweih findet am nächsten Sonntag, 28. August statt. Bei schönem Wetter wird es wieder wie alljährlich großen Andrang zum Kirchweihbesuch geben; denn die Alfelder Kirchweih ist seit alters weithin bekannt und wird von nah und ferne gern besucht. Die Alfelder halten bei ihrer Kirchweih noch auf einen alten Brauch. Von einem Fels zum gegenüberliegenden wird über den »Platz« hinweg ein Seil gespannt, an dem eine vergoldete Rindsblase hängt. Zum Maibaum ziehen die Paare geschlossen mit Musik und dann wandert der »Busch’n« von Hand zu Hand der Tanzenden, bis der Schuß entschieden hat. Es ist noch etwas Urwüchsiges dran. Die Autoverbindung Alfeld-Hersbruck kam auch schon immer gut auf ihre Rechnung an den Kirchweihtagen; die Wagen waren immer überfüllt von dem oftmaligen Verkehr. (HZ 24.08.1927)

 

Ein Kenner des Brauches oder gar ein Alfelder dürfte die Meldung kaum verfasst haben, lesen wir hier doch statt von der vergoldeten Schweinsblase von einer ebensolchen Rindsblase – dieses Detail könnte noch als Veränderung gewertet werden – und davon, dass statt des üblichen Blumenstraußes, auch Kirwabusch genannt, der eigentlich über dem Festplatz hängende »goldene Busch’n« von Tanzpaar zu Tanzpaar weitergereicht werde. Dass ein Signalschuss statt eines brennenden Schwammes das Zeichen zum Tanzende markierte, ist eine auch andernorts geübte Brauchveränderung. In dem bereits zitierten Bericht Heinrich Fischers von 1927 heißt es Am Maibaum wird derweil ein brennender Schwamm angeheftet. Das Paar, welches in eben dem Augenblick, da es kracht, den Kirwabüschel in der Hand hat ... (Fischer 1927: 71). Die bedeutendere Modifikation beim Kirchweihtanz ist erst einem weiteren Bericht der Lokalzeitung vom folgenden Tag zu entnehmen:

 

Sz. Alfeld. Zu der gestrigen Notiz über die Kirchweih sei noch mitgeteilt, daß der Haupttag der Kirchweih der Montag ist. Auf Anregung eines bekannten Heimatfreundes hin haben sich die Alfelder Burschen und Madeln bereiterklärt, den altherkömmlichen Kirwatanz um den Maiabaum (Montag abends 5 Uhr) in ihrer alten Tracht abzuhalten. Wer sich der Darstellung der Alfelder Kirchweih bei dem Festzug anläßlich des Landwirtschaftsfestes erinnern kann, der gedenkt auch der Freude, die er beim Anblick der alten, kleidsamen Tracht empfunden hat. Also, heuer zum erstenmale Kirwatanz in alter Tracht! Nicht nur der Mistelgau, die fränkische Schweiz (um Pretzfeld) hat noch Trachten, sondern auch die Hersbrucker Schweiz. Vielleicht sieht man schon bei dem nach altem Brauche vormittags von 10-12 Uhr stattfindenden Tanz der Alten manches Schöne. Darum werden recht viele Freunde der Heimat zur Kirchweih nach Alfeld kommen. (HZ 25.08.1927)

 

Der Kirchweihtanz wurde demnach spätestens 1927 ganz bewusst als »Brauch« präsentiert und historisierend gestaltet. Statt in der üblichen Sonntagskleidung erschienen die Kirwapaare diesmal in Tracht. Dies ist keine spezifisch Alfelderische Neuerung, sondern Trachtenpräsentationen waren längst üblich bei landwirtschaftlichen Festen und Brauchdarstellungen.

 

Zum Programm des ersten Oktoberfestes nach dem Ersten Weltkrieg, das 1921 stattfand, gehörte am 25. September 1921 ein Trachtenzug, an dem mehr als 250 Vereine teilnahmen (Bauer/Fenzl 1985: 83). Dieser Trachtenzug geht im Wesentlichen zurück auf den Hochzeitszug von 1842, bei dem 35 Brautpaare aus allen Landesteilen Bayerns dem Bayerischen Kronprinzen Maximilian und seiner Braut Prinzessin Marie von Preußen huldigten, meist in lokalspezifische Trachten gekleidet. Die Kleidertracht wurde dabei zur »Allegorie réelle« für die Verwaltungseinheiten der konstitutionellen Monarchie (vgl. Möhler 1980: 268). Über den damit in engster Verbindung stehenden Trachtenfolklorismus arbeitete wegweisend Armin Griebel (Griebel 1991a und 1991b). Regina Fritsch thematisierte in ihrer Arbeit zu landwirtschaftlichen Festen in Unterfranken auch die Darstellung von Bräuchen und Trachten in den Festzügen (Fritsch 1988). Die Trachtenbewegung hatte längst auch die Hersbrucker Alb erreicht. Die Quellenlage hierzu ist bisher nicht erforscht, vielleicht auch deswegen, weil man gemeinhin noch immer dazu neigt, die Entwicklung der Trachtenvereine unabhängig von der Politfolklore der Weimarer Republik zu betrachten.

 

Belege müssen noch erbracht werden, doch scheint es möglich, dass mit dem in der Hersbrucker Zeitung erwähnten Landwirtschaftsfest die »Deutsche Trachtenschau« von 1922 in Nürnberg gemeint ist. Mit dieser »Deutschen Trachtenschau« feierte einer der ältesten Nürnberger Vereine, der Gebirgstrachten-Erhaltungs-Verein »D’ Gamskofler« sein 25jähriges Gründungsjubiläum, das mit einer Großveranstaltung der »Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft« verbunden wurde. Etwa 130 Vereine und Gruppen, nicht alle dem Vereinszweck Tracht verpflichtet, reisten zum Teil mit Extrazügen an. 4.000 Teilnehmer in 160 Gruppen zogen bei einem drei Stunden dauernden Umzug durch Nürnberg. Besondere Brisanz erhielt die Veranstaltung in Zusammenhang mit Reaktionen auf die Ermordung des Reichsaußenministers Walter Rathenau am 24. Juni 1922 in Berlin durch rechtsextreme Attentäter: Nach Bekanntwerden des Mordes wurde »im Hauptbierzelt der Ausstellung ... aus Freude über die Tat das Deutschlandlied gesungen.« Die parteienübergreifende Bestürzung und Verurteilung des Verbrechens führten aber anschließend in Nürnberg zu Diskussionen über die Fortführung der Ausstellung und die Durchführung des Trachtenzuges. Erst die Überzeugung, dass das Gros der Trachtler der Arbeiterbewegung zuzuordnen war, führte zur Genehmigung des Festzuges mit der Vereinbarung, die schwarz-rot-goldene Nationalflagge mit Trauerflor dem Zug voranzutragen. In der lokalen Presse wurde der Festzug »in dreister Verdrehung von Ursache und Wirkung ... als vorbildlich für die politische Einigungsfähigkeit der Deutschen reklamiert.« (vgl. Griebel 1991c, 81-85) Die Trachtenbewegung wurde damit ungefragt vor den propagandistischen Karren der in Nürnberg aufstrebenden nationalsozialistischen Bewegung gespannt. Darüber hinaus zeigt die »Deutsche Trachtenschau« deutlich, wie sich die Trachtenbewegung in den Jahren um 1920 änderte. Aus den seit dem 19. Jahrhundert nur für Vorführungen zusammengestellten Gruppen wurden nach und nach Vereine. Für unser Untersuchungsgebiet gilt dies zum Beispiel für den heutigen Heimat- und Volkstrachtenverein Neunhof e.V. (Pfingsten 1920) und den Volkstrachtenverein Effeltrich (23. Oktober 1921). 

 

Die »Brauchtumsinsel« Effeltrich hatte schon vor dem Ersten Weltkrieg den Erlanger Heimatforscher Eduard Rühl (1892-1956) begeistert, der auf seinen Wanderungen auch Alfeld kennengelernt haben muss. Möglicherweise ist er, oder eine Person aus seinem Umfeld mit dem im oben angeführten Zeitungsbericht erwähnten bekannten Heimatfreund gemeint. Sehr wahrscheinlich gab es auch in Alfeld eine Gruppe von Leuten, die zu Landwirtschaftsfesten und Trachtenveranstaltungen in Alfelder Tracht auftraten und den Brauch des Kirchweihbaum-Austanzens vorführten. Bekannt ist dies ähnlich aus Unterfranken: 

 

»Die Gemeinden Sennfeld und Gochsheim präsentierten sich in den beiden Schweinfurter Festzügen 1889 ... und 1903 ... sowie in Würzburg 1914 ... durch den als Kirchweihbrauch vorgeführten Plantanz. Auch die Teilnehmer aus der Gemeinde Enheim verkörperten beim Marktbreiter Festzug im Jahre 1908 ein Kirchweihvolk.« (Fritsch 1988, 58)

 

Ob das »Baumaustanzen« 1932 auch in Tracht stattfand, ist derzeit nicht geklärt. Die Alfelder Kirchweih wurde jedenfalls in der Lokalzeitung weiter beworben, indem auf die Besonderheit des Buschenbrauches hingewiesen wurde:

 

Alfelder Kirchweih. Wenn der Wind über die Stoppeln weht und die schwerbeladnen Erntewagen in die Scheunen wanken, wenn die Tage schon fühlbar kürzer werden, dann ist die Alfelder Kirchweih nicht mehr ferne. Die Kirchweihtage mit ihren alten schönen Bräuchen sind für die Bewohner von Alfeld, wie auch für die nähere und fernere Umgebung Festtage in des Wortes wahrster Bedeutung. Schon am frühesten Sonntagmorgen spannen die »Kirchweihburschen« in mühsehliger Arbeit das Buschseil vom Kegelberg zum Schneiderberg und ziehen den vergoldeten, mit bunten Bändern geschmückten Busch hoch, durch den die Alfelder Kirchweih eine gewisse Berühmtheit erlangt hat. Am 2. Kirchweihtag wird der vor dem Maibaum schwankende, in der Sonne leuchtende Busch wieder niedergelassen und geht in den Besitz des Glücklichen über, der sich beim Tanz den Hut errungen hat. (HZ 24.08.1932)

 

Die letzte Kirchweih vor dem Zweiten Weltkrieg fand, wie schon berichtet, im August 1939 statt. Seit 1946 feiern die Alfelder ihre Kirwa wie gehabtund rücken seither wiederholt in das Interesse der Medien. Der Schriftsteller August Sieghardt (1887-1961), erster Schriftleiter des Fränkische-Schweiz-Vereins, der schon in den späten 1920er Jahren Reise- und Ortsbeschreibungen zur Hersbrucker Alb publizierte, wies in seinem Reiseführer von 1956 erneut auf die Besonderheiten der Alfelder Kirwa hin:

 

Die Alfelder Kirchweih am letzten Sonntag und Montag im August (St. Bartholomäus) ist ihrer Durchführung nach kulturgeschichtlich eine der bemerkenswertesten der Hersbrucker Alb und wird noch ganz nach altem Herkommen abgehalten. Ein circa 30 Meter hoher Baum werde in der Nacht zum Sonntag von den Kirwaboum aufgestellt und ein circa 250 Meter langes Seil zwischen Kegelberg und Schneiderberg gespannt. Daran werde der Buschen in der Größe eines Christbaumes befestigt. Am Montag erfolge das Austanzen des Kirchweihbaumes, wobei dem Paar, das den „Hut“ bekommt, auch der erwähnte „Buschn“ überreicht wird. Dieser alte Kirchweihbrauch vollzieht sich angesichts einer großen Menschenmenge, unter der sich auch zahlreiche Besucher aus Hersbruck, Altdorf und Nürnberg befinden. Am Kirchweihmontag wird von vormittag 10 Uhr an in drei Sälen getanzt. (Sieghardt 1956: 83)

 

August Sieghardt versäumte nicht, auf die heimatpflegerischen Betätigungen des Bäckermeistes Leonhard Bruckner hinzweisen, der sich um öffentliches Leben und Fremdenverkehr verdient mache und mit seinem Alfelder Gesangstrio ... auch durch den Rundfunk bekannt geworden sei (ebda., 84). Sieghardts Text fand, in leicht abgeänderter Form noch einmal Eingang in die dritte, von Wilhelm Malter 1972 besorgte Auflage des Reiseführers (Malter 1972: 64f). Leonhard Bruckner hatte 1951 den Trachtenverein Alfeld gegründet. Offensichtlich übernahmen die Mitglieder des Trachtenvereins in den späten 1950er Jahren für einige Zeit das Austanzen des »Moiabaams«. Die diesbezüglichen Sachverhalte müssen noch geklärt werden. Die »Juppen«, die die Kirwaboum zum »Baum-austanzen« benützen, gehören heute der Gemeinde, die diese irgendwann aus dem Nachlass des Trachtenvereins übernommen hat. Fotografien aus der ersten Hälfte der 1960er Jahre zeigen Mitglieder des Trachtenvereins bei diversen Festumzügen, die Alfelder Kirwa nachstellend. Auf die Beteiligung des Trachtenvereins bei der Erhaltung des Alfelder Kirwabrauches deutet die Bemerkung in Albert Gengs Heimatbuch von 2006 hin: »Leonhard Bruckner bat die Alfelder „Kirwaboum“ um Beibehaltung dieses Brauches mit dem Vers: „Haltet in Ehre Sitte, Tracht und Brauch, denn wenn des Volkes Sitten sterben, stirbt des Volkes Blüte auch“« (Geng 2006: 220). In mehrfach veränderten Fassungen zählt der Spruch zu den Wahlsprüchen und Losungswörtern der Trachtenbewegung, zum Beispiel: Es gibt nichts Schöneres auf Erden, als pflegen Väterglauben, Tracht und Brauch; denn wo des Volkes Sitten schwinden, stirbt des Landes Blüte auch! (URL Zenz). Möglicherweise, weil im Trachtenverein überwiegend junge, ledige Alfelder aktiv waren und der Verein sich nach wenigen Jahren formell auflöste, ging die Durchführung des Brauches wieder auf die Dorfjugend über.

 

Alljährlich berichtet die Lokalpresse seit den 1950er Jahren vor und nach dem Alfelder Kirchweihtermin über das Ereignis. Alljährlich wird auf die Besonderheiten, das Seil und den goldenen Buschen hingewiesen und alljährlich die angebliche Begründung des Brauches in der Wiedervereinigung des Ortes von 1806 kolportiert. Belege hierfür gibt es nicht.  Weder in den Alfelder Gemeindeprotokollen seit 1848, noch in Karl Schornbaums Geschichte der Pfarrei Alfeld von 1922 finden sich Belege zu dem außergewöhnlichen Kirchweihbrauch mit Seil und »goldenem Busch’n«. In Alfeld wurde am 19. September 1806

ein Besitzergreifungspatent nebst einer vom Rate erlassenen Proklamation ... in der Kirche und in den 3 Wirtshäusern angeschlagen. Am 28. IX. sollte in allen Kirchen eine religiöse Feier stattfinden. Die Geistlichen wurden angewiesen, über einen passenden Text zu predigen und dabei der Regierungsveränderung zu gedenken, das te deum laudamus feierlich singen und um 12 Uhr eine Stunde lang läuten zu lassen. (Schornbaum 1922: 155)

 

Soweit berichtete Karl Schornbaum über die Wiedervereinigung auf der Basis archivalischer Forschungen. Offenbar fand er in seinen Quellen keine Hinweise zu einer Feier mit dem die beiden Ortshälften verbindenden Seil. Darüber hinaus war die Alfelder Kirchweih 1806 im September 1806 bereits Geschichte. Angeblich habe man ursprünglich auch gar kein Seil benutzt. Es gab nämlich keins. Damals wurden einfach Hopfenranken benutzt. Geschrieben steht dies so nirgends. Wissen tut’s Leonhard Bruckner (NN 03./04.05.1997). Als Alfeld die 175. Wiederkehr der Dorf-Vereinigung feierte, erklärte Leonhard Bruckner bei einer Rundfunksendung die Entstehung des Brauches folgendermaßen: 

 

Wie meine Mutter erzählt hat, das ist zwar nicht niedergeschrieben, aber so was vererbt sich doch von Mund zu Mund, meine Mutter hat jedes Mal gesagt: da haben sie Hopfenreben zusammengebunden, da hat es noch keinen Seiler gegeben, ... und haben halt ein paar Sträußchen hingehängt, und so ist der Buschen entstanden. (Interview vom 16.04.1994) 

 

Ein Zeitungsberichterstatter führte den Kirchweihbrauch gar auf die Teilung des Ortes 1504 zurück (Bruckner 1981). Das Gold, mit dem der Busch umhüllt ist, soll die Freude versinnbildlichen, das grüne Fichtenbäumchen die Hoffnung, dass es nie mehr eine Trennung geben möge und die Schweinsblase ganz allgemein das Glück.

 

Die Hersbrucker Zeitung druckte in der Ausgabe vom Kirchweihwochenende 1973 ein Mundartgedicht von dem ehemaligen Musikanten der Happurger Bauernkapelle Leonhard Bauer ab, das unter dem Titel »Vom Kegelberg zum Schneiderberg« Alfelder Brauchtum in Versen interpretiert (Anhang 11.33). Bürgermeister Bruckner verwendete weite Passagen des Mundartgedichtes für ein eigenes Werk zur 1000-Jahrfeier und legte dabei besonderen Wert auf die Bedeutung von Musik und Gesang im Rahmen der von ihm initiierten Brauchpflege. Das Gedicht wurde in der »Alfelder Zeitung«, dem Lokalblatt der niedersächsischen Stadt Alfeld an der Leine, am 13. August 1976 abgedruckt. Dort war man mit den Spezialitäten Bayerischer Landesgeschichte nicht vertraut, so schlichen sich sogar ein paar Verständnisfehler ein (vgl. Anhang 11.34). Noch einmal 1990 verwendete er Leonhard Bruckner Verse aus Leonhard Bauers Mundartgedicht zur Deutung des Alfelder Kirchweihbrauches. Weil er diesmal für die Heimatzeitung formulierte, ist das Gedicht weitgehend in Mundart gehalten. Leonhard Bruckner verglich das geteilte Dorf Alfeld gern mit dem nach dem Zweiten Weltkrieg geteilten Deutschland. Besonders die Ortschaft Mödlareuth an der bayerisch-thüringischen Grenze hatte es ihm angetan, da auch hier ein Bachlauf, der Tannbach, die Trennung markierte. Deswegen flocht er in das Gedicht einen Hinweis auf die Berliner Mauer ein (vgl. Anhang 11.35).

 

Zweifellos ist es dem heimatpflegerischen Engagement Leonhard Bruckners zu einem wesentlichen Teil zu verdanken, dass der Alfelder Kirwabrauch seit den 1950er Jahren immer wieder starkes überregionales Medieninteresse erweckt. Vermutlich erstmals 1958 berichtete der Bayerische Rundfunk in einer Hörfunkreportage von der Alfelder Kirchweih. Ein Reporter beobachtete dabei gemeinsam mit Leonhard Bruckner das »Baumaustanzen«. 

 

Die Einwohner der Gemeinde Alfeld können auf einige Besonderheiten hinweisen, auf die sie zwar gar nicht besonders stolz sind, aber man weiß doch in der näheren und weiteren Umgebung darüber Bescheid. Da ist einmal die schöne landschaftliche Lage in der Hersbrucker Alb, dann die Alfelder Wurstwaren, weit und breit bekannt, und nicht zuletzt die Alfelder Kirchweih, die drei Tage lang gefeiert wird, vom Samstag bis zum Wochenanfang. Den letzten Teil können wir jetzt zu abendlicher Stunde miterleben, am Dorfplatz, auf dem schon der Kirchweihbaum aufgestellt ist, eine hohe Fichte, von der man am oberen Ende nur mehr den grünen Busch übrig gelassen hat. Ja, und nach hierher, da bewegt sich nun der Zug der Burschen und Mädchen, die mit der Blasmusik aus den einzelnen Wirtshäusern geholt wurden, (FFV EX 199r)

 

begann die siebenminütige Berichterstattung, zu der man im Hintergrund anscheinend live vom Dorfplatz Musik und Geräusche hört. Der Hörfunkreporter ließ sich von Leonhard Bruckner erklären, was es mit den Symbolen auf den Juppen der Kirwaboum auf sich habe – ein Hinweis darauf, dass zu diesem Zeitpunkt das »Baumaustanzen« in Händen des Trachtenvereins lag. Nach Berichten mehrere Gewährspersonen gab es später noch einmal eine Phase, in der die Burschen in Anzügen tanzten. Während in der Hörfunkreportage vom Dorfplatz herauf das Lied »Bin i a lustiger Fuhrmannssohn« (vgl. Sebald 2006: 10f), der obligatorische »Gurzer« und anschließend ein Landler herauf klangen, bekamen die Radiohörer die Deutung des Brauches erläutert. Sogar ein »Eigmachts«, »Dou drunt’n aaf da Bruck« (vgl. Sebald 2006: 23) ist zu hören. Wenn dann das betreffende Paar den Strauß hat, dann schnallt der Schuss, stellte Bruckner dar – und aufgeregt unterbrach ihn der Reporter:

 

Jetzt war’s so weit, und, ja, jetzt lockert sich das Seil von den beiden Bergeshöhen aus wird es nachgelassen und der Buschen, der senkt sich nun langsam herab. [Leonhard Bruckner:] »Ja, das betreffende Paar hat jetzt den Hut gekriegt. Dem Buben haben sie den Hut naaf’ghaut, sagen wir.« Ach, das ist der Hut mit diesem rosa Band? [Leonhard Bruckner:] »Mit dem rosa Band. Da ist ein Geschenk dran. Das Geschenk kriegt dann das Mädel. Irgendein Kleidungsstück, so etwas. Und der Busch kommt jetzt runter und das Paar kriegt dann auch den Busch« ... Jetzt ist der Buschen herunter gesaust. Er wird abgemacht vom Seil. Und das dürfte dann der Höhepunkt der Alfelder Kirchweih gewesen sein, zu der doch alljährlich so viele Leute kommen von weit und breit. Und jetzt setzt die Kapelle wieder ein, der Zug geht weiter durch die Ortschaft. Ja, wahrscheinlich wird’s wieder so sein, wie am Anfang, vor diesem festlichen Höhepunkt. Jetzt wird sich alles wieder auf die Wirtshäuser verteilen, Herr Bruckner, ja? [Leonhard Bruckner:] »Ja, jetzt werden die Wirtshäuser wieder voll. Die Kellner stehen schon mit den gefüllten Maßen bereit, dann geht’s weiter bis spät in die Nacht wie seit eh und je«. Mit einem Landler und fröhlichen Gurzern klang die Berichterstattung aus. (FFV EX 199r)

 

Den Höhepunkt der Kirwa, das »Baumaustanzen«, beobachteten 1972 neben zahlreichen Ehrengästen die beiden Bezirksheimatpfleger Dr. Ernst Eichhorn (Mittelfranken) und Dr. Adolf Eichenseer (Oberpfalz). Letzterer war in seiner Eigenschaft als Beauftragter des Olympischen Komitees für das folkloristische Rahmenprogramm »vita bavarica – ein bayerischer Bilderbogen« der Olympischen Spiele in München anwesend. Er befand den pittoresken Brauch ... natürlich in geraffter Form als geeignet (HZ 02.09.1970). Zur Teilnahme an diesem Programm kam es letztendlich aber nicht.

 

Aus Anlass der 1000-Jahrfeier Alfelds sendete das Bayerische Fernsehen am Kirchweihfreitag 1976 in der Sendereihe »Unter unserem Himmel« im Programm der ARD einen zwanzigminütigen Film von der Alfelder Kirwa. Ein Kamerateam unter der Leitung von Sepp Eibl hatte das Ereignis im Vorjahr begleitet. Bei der Aufzeichnung herrschte nicht nur heftiges Regenwetter, die Alfelder hatten auch sonst mit allerlei Unbillen zu kämpfen: Drei Probeschüsse aus Bruckners Signal-Pistole lösten sich nicht, beim Aufziehen des Seiles gab es Probleme, das Buschenseil riss mehrfach und die Landung des »goldenen Busch’n« beim »Houterer« gelang auch nicht nach Drehbuch. Dennoch waren die Alfelder stolz auf das Ergebnis und machten kräftig Werbung für den Fernsehbeitrag. Sogar eine Nachlese gab es in der Hersbrucker Zeitung. Lobend wurde darin die Rolle der Alfelder Musikanten erwähnt: Ein paar Minuten durfte man auch bei der Volksmusik verweilen, die in Alfeld noch fest verwurzelt ist, bei den Alfelder Musikanten, die wie kaum eine zweite Kapelle in unserem Raum die alten Zwiefachen zu spielen verstehen und deshalb die einzige „Filmmusik“ beisteuerten (HZ undat. in Bruckner 1981).

 

Für seinen Film über Kirchweih in Franken nahm Egon Helmhagen mit einem Kamerateam des Bayerischen Rundfunks 1996 Szenen vom Alfelder Kirchweihmontag auf. 2006, zur Zweihundert-Jahr-Feier der Wiedervereinigung des Dorfes produzierte derselbe Fernsehsender erneut einen Film über die Alfelder Kirwa. Unter der Leitung von Gerald Groß entstand dabei ein zeitgemäßer Bericht, der alle Facetten des Kirwageschehens abbildete und sogar die Feldforschungsarbeiten zur vorliegenden Arbeit präsentierte.